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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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bestialischer als im restlichen Keller. Der Gestank kam eindeutig aus dem Raum zur Linken von Richard. Die Tür stand einen Spalt weit auf und als er nach dem Lichtschalter griff, schaltete sich eine 25 Watt Birne ein und tauchte den Raum in ein müdes Licht. Er war mit großen Holzkisten gefüllt, auf die vor vielen Jahren jemand mit schwarzer Farbe Zahlen und Buchstabenkolonnen gemalt hatte. Eine der Kisten war aufgebrochen worden und eine Flut immer gleicher Metallteile – sie sahen wie unfertige Scharniere aus – bedeckte den Boden.
    Richard wischte angeekelt eine große Spinne von seinem Arm.
    Er wollte sich gerade abwenden, als er das Tier in einer Ecke entdeckte. Von dort kam der grässliche Gestank. Richard hielt sich die Nase zu und stieß den Kadaver mit der Stiefelspitze an. Zuerst dachte er, es sei eine tote Ratte, aber dann stellte er fest, dass der Kopf fehlte.
    Es war Jan Münzbergs Pauli. Die fortgeschrittene Verwesung führte einen Zermürbungskrieg mit den Überresten und ließ den Körper des Katers schrumpfen.
    Nun gab es keinen Zweifel mehr. Irgendjemand – Richard verdrängte das in seiner Fantasie immer wieder auftauchende Irgendetwas – hatte den geheimen Fluchtweg benutzt und den Kater auf seinem Küchentisch platziert und wieder entfernt, während Richard außer sich vor Panik in den Hausflur zu Münzbergs Wohnung getaumelt war.
    Richard hatte davon gehört, dass Menschen, in deren Haus oder Wohnung eingebrochen worden war, während sie sich darin aufhielten, im Nachhinein ein Trauma durchlebten. Man war in ihre ganz persönliche Schutzzone eingedrungen, hatte sie vielleicht sogar im Bett beobachtet und die Möglichkeit besessen, sie in ihrer Hilflosigkeit zu töten.
    In diesem Augenblick wusste er, wie diese Menschen litten.
    Aber er war nicht bestohlen worden. Man hatte ihn mit einem kopflosen Kater konfrontiert. Und all die anderen Vorfälle, auf die er sich bisher keinen Reim machen konnte, von denen er glaubte, sie seien Bestandteil seines Abgleitens in den Wahnsinn, hervorgerufen durch den Blitzschlag; sie alle waren Bestandteil eines perfiden Plans, der bisher noch keinen Sinn ergab.
    Vorsicht, mein Freund!, mahnte eine innere Stimme. Das ist noch keine Erklärung für deine Anfälle. Manchmal ist deine Welt blaustichig und voller öliger Schlieren. Du pisst dir in die Hose. Mal ganz davon abgesehen, dass du dich halbnackt und im Delirium auf der Straße gewälzt hast. Vielleicht geschieht das alles hier nur in deinem Wahn.
    Richard ballte die Fäuste. Nein, er war nicht verrückt! Er musste es sich nur beweisen. Brauchte endlich Klarheit. Und dafür benötigte er keinen Dr. Busch.
    Vermutlich fand er weitere Antworten hinter der stählernen Tür. In der Fabrik. Wenn er nicht durch diese Tür gelangte, musste er sich einen anderen Zugang verschaffen.
    Jetzt.

Lass die Finger davon

    Marias Sinne waren niemals wacher, angespannter gewesen. Sie spürte, wie der Tisch, auf dem sie gefesselt war, kaum merkbar vibrierte, wenn draußen ein schweres Fahrzeug vorbeifuhr. Vor ein paar Minuten hatte sie sogar ganz weit entfernt die Sirenen eines Polizeiwagens gehört, und für einen Moment gehofft, man würde zu ihrer Befreiung herbeieilen, aber dann war das Geräusch immer leiser geworden.
    Sie vernahm ein Plätschern und wusste, dass der Fremde gar nicht weit von ihr die Wand anpisste. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, dann folgte das Geräusch des Reißverschlusses.
    Mit einem Mal verspürte sie auch einen starken Harndrang. Wie lange war es her, dass sie auf der Toilette war? So lächerlich es war, wollte sie doch auf gar keinen Fall in Gegenwart ihres Entführers auf den Tisch pinkeln.
    Der Mann setzte sich wieder auf den Stuhl und zündete sich einen neuen Zigarillo an.
    „Mein Vater raucht Zigarre“, sagte sie und spürte, dass ihr das Sprechen mit ihrer völlig ausgetrockneten Kehle und der Zunge, die mittlerweile wie ein Fremdkörper in ihrem Mund lag, immer schwerer fiel. Sie wartete auf eine Antwort, denn so lange er redet, würde er ihr vielleicht nicht wehtun.
    Als sie bereits davon überzeugt war, dass er ihre Bemerkung überhört hatte, sprach er. „Es ist ein Laster. Mein einziges. Dafür rühre ich keine Drogen, keinen Tropfen Alkohol an. Hab es früher mal wild mit dem ganzen Zeug getrieben, bis ich geläutert wurde.“ Er spuckte auf den Boden. „Ich kann dir nur raten, Kleine: Lass die Finger davon. Es ruiniert den Verstand.“
    Maria klammerte sich an

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