Zwillingsblut (German Edition)
Närrin. Sie hatte also Recht gehabt mit ihrer Vermutung. »Wieso sagst du es mir nicht einfach und bringst es hinter dich?«
Sie weiß es!
Edward widerstand dem Drang, ihr die Haare aus dem Gesicht zu streichen, die der Wind ihr immer wieder hineinwehte und sie zu trösten. Er konnte ihre Verzweiflung beinahe spüren, wollte sie wegküssen und lieben. Solange lieben, bis sie ihm alles verzieh.
»Was, Sofia?«, fragte er sanft.
Erst jetzt sah sie ihn wieder an. »Das der Magistrat dein Schöpfer ist!«
Beinahe hätte Edward vor Erleichterung gelacht. Es gelang ihm das nagende Schuldgefühl in seinem Inneren zu ignorieren und den Kopf zu schütteln. Er brauchte nicht mehr Sofias Hass, er brauchte ihre Liebe.
»Nein, Sofia. Ich bin – auf Wunsch der Hexe – ein Kind der Königin!«
Wahrheit!
Sofia wandte ihr Gesicht ab. Warum hatte sie dann trotzdem das Gefühl, er würde ihr etwas Wichtiges nicht sagen?
Vielleicht hat er vor irgendetwas Angst?
, schlug ihre innere Stimme vor und erinnerte daran, dass auch sie ihm nicht vollständig vertraute.
Es gibt immer etwas in der Vergangenheit, über das man nicht gerne spricht!
»Gott, ich bin einfach zu misstrauisch!«, maßregelte sie sich leise und bemerkte nicht, wie ihre Worte Edwards Gewissen belasteten, weil er ihr sein Geheimnis nicht anvertrauen konnte. Nicht ohne sie, sich und seine Familie zu töten.
Alles in Edward revoltierte bei ihrem Anblick. Es war ein schreckliches Gefühl, Sofias innere Zerrissenheit und die Zweifel zu spüren und nicht zu wissen, wie er etwas ändern konnte. Doch es waren ihre Augen, die ihn heimsuchten. Tief in ihren Abgründen konnte er Wunden sehen, die niemals ganz verheilt waren, die immer noch schmerzten und die sein Engel vor dem Rest der Welt verbarg. Wie konnte er diese Wunden sehen und nicht hoffen, der Mann zu sein, der ihr die Furcht nahm und Vertrauen gab?
Aber wie willst du heilen, was du zu einem großen Teil zu verantworten hast?
»Verzichte auf deine Rache«, bat er, »bleib bei mir und liebe mich und wir werden eine andere Lösung finden!«
Sofia schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht darauf verzichten, Edward! Ich kann es einfach nicht.« Die Verzweiflung in ihrer Stimme machte ihm Angst und er fragte sich, was sie nach Vollendung ihrer Rache plante. Er fürchtete die Antwort.
»Er hat mir alles genommen, alles, was ich noch hatte.« Ihr Blick schien sich nach innen zu richten. »Nein, viel schlimmer: Er hat mich dazu gebracht, mir selber alles zu nehmen, was ich noch hatte.«
»Melanie!«, mutmaßte Edward und verfluchte den Magnus zum ersten Mal in seinem Leben von tiefstem Herzen für seine Pläne und Intrigen. – Und für die Schmerzen die er bereit war anderen zu verursachen, um zum Ziel zu gelangen.
»Ja!«, bestätigte Sofia. »Ich möchte… ich möchte, dass …« Ihre Stimme verklang, bevor sie sich zusammenriss. »Das hier ist das Netteste, was je jemand für mich getan hat«, meinte sie schließlich und deutete auf das Boot und den Kanal. »Ich werde es genießen und in Erinnerung behalten!«, versprach Sofia und setzte es sofort in die Tat um, indem sie ihre Trauer abschüttelte, als wäre sie kein Teil ihres eigentlichen Wesens und sich der Betrachtung der Palazzi zuwandte.
Nur mühsam widerstand Edward dem Drang, Sofia in seine Arme zu nehmen und ihr von seinen Gefühlen und Hoffnungen zu erzählen. – Es war das Dümmste, was er je gewollt hatte, aber das Wissen half nichts gegen seine Gefühle. Er schüttelte den Kopf. Sofia stellte seine Gefühle auf den Kopf, veränderte sein Leben und hatte sich in sein Herz geschlichen.
Als er Sofia dabei betrachtete, wie sie sich dem »Palazzi Mocenigo-Nero« zuwandte, dem sieben Dogen entstammen und in dem heute die Zentralverwaltung des Veneto untergebracht ist, entschied er, dass sie jede ungewohnte Emotion wert war.
Ihr Gesicht strahlte, als sie nach vorne blickte, zum »Palazzo Grassi« und der säkularisierten Kirche »San Samuele«. Der Blick aus ihren unschuldigen Augen erfreute Edward und er begann die Welt – seine Welt –, die er schon seit langem als langweilig abgetan hatte, in einem ganz anderen Licht zu sehen.
Genieß die Zeit!
, empfahl sein Gewissen.
Dir bleibt nicht viel Zeit, mit ihr glücklich zu sein. Sie muss bald den Weg zum Tempel finden. Und wenn sie dich dann nicht liebt, solltest du darum beten, dass sie in der Lage ist, dich zu töten!
Ein kalter Schauder lief über Edwards Rücken. Er wollte nicht mehr sterben – und
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