Zwillingsblut (German Edition)
einen Fluchtversuch schließen ließ.
Unwillkürlich erinnerte sich Sofia an ihr Aufwachen in einem Steinsarg, an ihren Kampf um Freiheit und an die Angst. Für Sekunden meinte sie Schreie zu hören und fragte sich, ob die Fanatiker andere Vampire fingen und lebendig begruben. Trotzdem ihrer Angst öffnete Sofia all ihre Sinne, ignorierte die plötzlich wieder einsetzenden Schmerzen; dort, wo die Fesseln ihre Haut berührten. Nichts. Keine Schreie, kein Leben und kein Untot. Außer ihren Jägern war niemand in den Gängen.
Ein Luftzug lenkte Sofias Blick nach oben. Direkt über ihr befand sich ein Schacht, der in einer Höhe von 30 Metern eine Öffnung zur Oberfläche führte. Die kreisrunde Freiheit – von unten ein Belüftungsschacht, von oben eine gemeineTodesfalle – gab den Blick auf den Nachthimmel frei. Sogar einen Stern konnte sie sehen, der dort scheinbar einsam in der Finsternis blinkte. Vielleicht war er längst erloschen, doch seine Existenz hatte trotzdem noch Konsequenzen in die Gegenwart und sein Lichtstrahl brachte einen Funken Helligkeit. Sofia fühlte sich auf den Grund eines lichtlosen Brunnens versetzt, hoffnungslos gefangen, eingekreist von Alter und Tod.
Als sie weiterging konnte sie den Rauch trotz der Frischluftzufuhr riechen. Minuten, bevor Fackelschein den Weg erhellte und durch sein willkürliches Flackern den Anfang einer großen Halle gespenstisch beleuchtete. Der stete Tanz von Licht und Dunkelheit sorgte für die Illusion der Bewegung und des Lebens im Saal der Gebeine.
Sofia staunte trotz der Situation. Solche großen Hallen, wie unterirdische Kathedralen, kannte sie nur aus Fernsehberichten, aus Paris und London. Und keine davon war – soweit sie wusste – für Touristen zugänglich.
Zu ihrer Linken waren Oberschenkelknochen in die gesamte Wand eingearbeitet worden und ihr Weiß hob sich von dem finsteren Hintergrund ab. Sofia ließ ihren Blick schweifen. Auf der rechten Seite befanden sich die Unterschenkelknochen, ebenfalls in der Wand eingearbeitet. Vor den Seitenwänden standen vier Reihen Brustkörbe mit Wirbelsäule, wie Knochenkäfige, und reichten bis zum Mittelgang. Dort waren Totenköpfe zu knöchernen Pfeilern übereinander gestapelt worden, so dass sie die hohe Decke des Gewölbes zu stützen schienen. Die blicklosen Schädel würden Sofias Weg durch die Halle mit unsichtbaren Augen verfolgen. Sofia verbannte diese Vorstellung und ging langsam, gemessenen Schrittes in der Mitte der Pfeiler den Gang entlang, ignorierte die Skelettarme, die den Weg säumten und deren Hände nach ihr zu greifen schienen.
Jemand hat viel Mühe darauf verwendet, diese Halle zu schaffen und jeden Knochen effektvoll zu platzieren!
Ihr Gedanke fand sich bestätigt, als sie sich dem Durchgang näherte. Auf dieser Wand waren ganze Skelette eingemauert und erinnerten sie an Al Pacinos Gemälde in »Im Auftrag des Teufels«. Doch anders in dem Film waren es hier nicht verdammte Seelen, die versuchten aus einem Bild zu entkommen, sondern Skelette, die in ihrem scheinbar letzten Kraftakt um Befreiung kämpften und dem Besucher Hilfesuchend die Arme entgegenstreckten.
Morbide!
»Welch Genretypisches Klischee!«, behauptete Sofia und es gelang ihr, ihre Stimme abwertend klingen zu lassen, obwohl ihr der Geruch eines großen Feuers in die Nase stieg und sie daran erinnerte, was sie an diesen Ort führte. Der Durchgang bot ihr ein Bild auf ihre Zukunft und auf den damit verbundenen Scheiterhaufen.
Auch im nächsten Raum warteten bereits zahlreiche Vampire und starrten sie an. Sofia ließ sich vom Strom nachfolgender Vampire vorantreiben, bis kurzvor dem Reisighaufen und staunte über die große Anzahl ihrer Hasser. Sie warf Edward einen flehenden Blick zu, doch er schien sich über die Ausstattung des Raumes mit den Folterinstrumenten an der linken Wand und den alten Dokumenten in einem Regal an der Rechten zu amüsieren.
»Brennen soll die Hexe!«, rief eine Männerstimme und die anderen Vampire nahmen die Worte begeistert auf.
Beinahe hätte der Ruf Sofia zum Lachen gebracht.
Und an die echte Hexe traut sich niemand heran! – Schließlich sorgt sie für Macht und Frauen
.
Die Gruppe ließ den Ruf zu einer Hymne anschwellen, als Noctalyus mit einer brennenden Fackel den Raum betrat. Sofia versuchte sich auf ihre Wut und die Hitze zu konzentrieren, die sie bereits einmal heraufbeschworen hatte. Doch alles, woran sie denken konnte war Edward.
Warum tut er nichts?
Als der blonde Vampir an sie
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