Zwillingsbrut
von zu Hause wegführte.
Er müsste sich endlich niederlassen, ermahnte ihn sein Vater. Machte sich der Alte Sorgen? Hegte er einen Verdacht?
Vielleicht sehe sein Terminplan im nächsten Jahr etwas besser aus und er könne mehr Zeit hier verbringen …
Er hörte das Gespräch plätschern, lächelte freundlich, sprach über die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage und darüber, wie sie alle das Fest zusammen verbringen wollten, obwohl es von Jahr zu Jahr schwieriger wurde.
Seine Schwester nahm ihn beiseite, als er half, die Teller abzuräumen; sie mache sich Sorgen um die Gesundheit des Vaters, sagte sie. Wer könne schon wissen, ob der alte Herr bei ihrem nächsten Thanksgiving-Treffen noch dabei sein würde? Jeder Tag, den er erlebte und bewegungsfähig war, sei ein Segen.
Nächstes Jahr … nun, so weit wolle er gar nicht denken.
Natürlich nicht. Wer wusste schon, was für ein neues Projekt bis dahin anstand.
Aber fünf zu eins, dass der alte Herr, rüstig wie er war, noch all seine Nachkommen überlebte.
Er blieb, bis sein Vater einen letzten Scotch geleert hatte, dann setzte er ihn und seine Mutter in den wartenden Wagen, einen Cadillac, mit Chauffeur. Er schüttelte seinem Vater die Hand und stellte fest, dass der Händedruck des Alten so fest war wie immer.
»Sag etwas zu Mutter«, beharrte seine Schwester flüsternd, und er lobte das »blühende« Aussehen der alten Schachtel und betonte, wie sehr er sich darauf freue, dass sie an Weihnachten alle wieder zusammenkämen, was eine glatte Lüge war.
Sobald sie hinter dem dichten Vorhang aus vom Himmel rieselndem Schnee verschwunden waren, richteten sich seine Gedanken auf das, was vor ihm lag.
Er drehte eine schnelle Runde, um sich zu verabschieden, behauptete, er müsse dringend nach Hause, weil morgen in aller Früh sein Flieger gehe, und rannte beinahe zu seinem Auto.
Erst als das weitläufige Seeanwesen aus seinem Rückspiegel verschwunden war, ließ er die Maske fallen und entspannte sich. Das Lächeln, das er die letzten fünf Stunden über aufgesetzt hatte, verschwand. Er rieb seine Narbe, die sich unter den Haaren direkt am Ansatz einer seiner Schläfen verbarg, und seine Gedanken verfinsterten sich.
Er hatte keine Zeit für diesen Feiertagsunsinn.
Im Radio dudelte irgendein abgeschmacktes Weihnachtslied, und er schaltete es ab, konzentrierte sich auf die Straße vor ihm und auf die Lichter seiner Scheinwerfer, die den Schneesturm durchschnitten. So rollte er Meile für Meile dahin.
Er durfte keine Zeit verschwenden.
Es gab so viel zu tun.
Die undankbaren Schmarotzer, die sich »seine Familie« nannten, wussten es nur nicht. Konnten es nicht wissen und würden es auch niemals wissen.
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Kapitel 13
S o, das war’s«, sagte Alvarez, als sie zusammen mit Mikhail Slatkin und seiner Assistentin Ashley Tang die Sachen aus Jocelyn Wallis’ Apartment zusammenpackte und zu dem wartenden Van des staatlichen kriminaltechnischen Labors schleppte. Das potenzielle Beweismaterial war fotografiert, eingetütet und beschriftet und anschließend von Slatkin abgezeichnet worden.
Mikhail Slatkin, ein großer, grobknochiger Mann Ende zwanzig mit einem scharfen Verstand und zurückhaltendem Auftreten, war rein körperlich das absolute Gegenteil von der Frau, mit der er zusammenarbeitete. Die zierliche Asiatin wog selbst in Stiefeln und dickem Skianzug keine fünfzig Kilo, vermutete Alvarez. Es ging das Gerücht, Tang, mittlerweile achtundzwanzig und von ebenso scharfem Verstand wie Slatkin, habe noch vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag ihren Abschluss in Stanford gemacht.
Sie waren zusammen durch die kleine Wohnung der Lehrerin gegangen und hatten Ausschau nach Beweismaterial gehalten, das sie möglicherweise übersehen hatten. Beim ersten Durchgang hatten sie noch nicht berücksichtigt, dass Jocelyn Wallis eventuell vergiftet – ermordet – worden war.
Ja, es hatten sich Spuren von Arsen im Körper des Opfers gefunden, doch sie war an den Verletzungen gestorben, die von ihrem Sturz in die Klamm herrührten. War sie verwirrt gewesen, in einem deliranten Zustand, und deshalb ausgeglitten, oder hatte der Killer in der Nähe gelauert und ihr den entscheidenden Stoß versetzt, anstatt zu warten, bis das Gift seine tödliche Wirkung entfaltete?
Slatkin schloss den weißen Van auf, in dessen Schmutzschicht jemand » WASCH MICH « geschmiert hatte.
»Ich brauche die Auswertung dringend, am besten sofort«, sagte Alvarez, als Slatkin die Taschen
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