Zwillingsbrut
mit dem Beweismaterial nach seinen Vorstellungen hinten im Van verstaute.
Endlich schlug er die Tür zu. »Was für eine Überraschung.«
Tang, deren Atem kleine Wölkchen in der feuchtkalten Luft bildete, kletterte auf den Beifahrersitz und versicherte Alvarez: »Wir kümmern uns darum.«
Selena ging gerade zu ihrem Jeep, als ein blauer Plymouth älteren Baujahrs auf einen Stellplatz unter dem Carport rollte. Eine Dame Ende siebzig stieg aus, gehüllt in einen übergroßen Mantel. Im selben Augenblick sprang ein aufgedrehter Dackel in einem albernen roten Pullöverchen, farblich passend zu Hut und Schal seiner Besitzerin, aus dem Wagen und zerrte wie verrückt an seiner Leine. Mit lautem Gebell wickelte er diese um die Beine seines Frauchens, dann entdeckte er Alvarez und erstarrte. Dunkle Augen richteten sich mit unverhohlenem Misstrauen auf den Detective. »Brav, Kaiser, brav«, gurrte die Frau liebevoll und öffnete den Kofferraum, um eine große Tragetasche mit Lebensmitteln herauszuheben.
Kaiser knurrte Alvarez an. Sein Frauchen blickte über ihre Brillengläser und kicherte. »Beachten Sie ihn gar nicht«, sagte sie, »Hunde, die bellen, beißen nicht.« Dann schloss sie mit einem Knall den Kofferraum und pfiff leise. »Komm, Kaiser.«
»Entschuldigen Sie, wohnen Sie hier?«
»Ja. Apartment 1 C.« Sie nickte in Richtung ihrer Wohnung im Erdgeschoss, die gleich neben der der toten Lehrerin lag.
»Dann sind Sie die Nachbarin von Jocelyn Wallis.«
Die alte Dame zog betroffen die Mundwinkel herab und legte die Stirn in Falten. »Ja. Das arme Ding. Sie haben in den Nachrichten gebracht, was ihr zugestoßen ist. Ich war nicht in der Stadt, habe meiner Schwester Frannie einen Besuch abgestattet. Mein Gott, sie ist eine grauenvolle Köchin. Auch wenn sie meine Schwester ist, die ich sehr liebe, würde es ihr nicht schaden, mal ein Kochbuch aufzuschlagen oder ein Rezept aus dem Internet auszuprobieren. Aber nein: Sie brät den Truthahn, wie sie es immer schon getan hat, bis er so trocken ist wie die Sahara. Ganz anders die Füllung, die ist ekelig schleimig. Wie kriegt man so was bloß hin?« Als würde ihr plötzlich klar, dass sie vom Thema abschweifte, fügte sie hinzu: »Das mit Jocelyn tut mir wirklich leid. Sie war ein nettes Mädchen, eine nette Frau, meine ich, nur ein bisschen zu …« Als hätte sie es sich anders überlegt, brach sie ab, zuckte die Achseln, zog an der Leine und zerrte Kaiser zur Eingangstür.
»Entschuldigen Sie, Madam.« Alvarez zückte ihre Dienstmarke und stellte sich vor. »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mich gern ein wenig mit Ihnen über Miss Wallis unterhalten.« Sie hatten noch nicht allzu viele Nachbarn befragt, da sie zunächst davon ausgegangen waren, dass es sich um einen Unfall handelte.
»Sicher«, stimmte die Frau zu, nachdem sie Alvarez’ Marke studiert hatte. »Mein Name ist Lois Emmerson … aber bitte, kommen Sie doch rein, ins Warme.« Die Tasche mit den Lebensmitteln fest an einem Arm, Kaisers Leine in der Hand, marschierte sie zu der Tür neben der von Jocelyn Wallis und ließ Alvarez in ihre blitzblanke Wohnung eintreten.
Nachdem sie die Einkaufstasche auf einem Tresen abgestellt hatte, der die Küche vom Wohnzimmer trennte, nahm sie Kaiser die Leine ab, hängte sie auf, dann legte sie Mantel, Handschuhe, Schal und Mütze ab. Darunter trug sie einen roten Pullover mit weißen Punkten – genau wie ihr Hund.
»Sie stricken«, stellte Alvarez fest.
»Wie eine Verrückte! Kein Mohairknäuel ist vor mir sicher!«
Der Hund schnüffelte an der Tür zur Speisekammer. Sie reichte ihm einen halben Hundekeks und sagte: »Ich werde uns einen Tee machen.«
Alvarez versuchte abzulehnen, doch vergebens. Lois Emmerson erklärte, sie beide müssten sich »aufwärmen«; die alte Dame war einsam, vermutete Selena. Alleinstehend. Keine Kinder. Kaiser war ihre einzige Gesellschaft, und Frannie, die grauenvolle Köchin, ihre ganze Familie. Ms. Emmerson wärmte Wasser in der Mikrowelle auf, und es war eindeutig, dass sie reden wollte. Also zog Alvarez ihren Mantel aus und legte ihn über einen der Barhocker vor dem Tresen.
»Sie sagten, etwas an Jocelyn Wallis sei Ihnen unangenehm aufgefallen.«
»Nein, das meinte ich nicht.« Die Mikrowelle klingelte, und Lois nahm flink die Glaskanne heraus. Geschickt, als hätte sie das schon millionenmal getan, goss sie das kochend heiße Wasser in zwei etwas abgenutzt aussehende Porzellantassen. Dann tauchte sie einen
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