Zwischen den Gezeiten
Teewasser aufsetzen, Lunch im Casino â Inga bemühte sich, dem Gleichmaà etwas abzugewinnen. Die Tage reihten sich aneinander, gegliedert durch Vorhersehbares, Möglichkeiten glitten unbeachtet vorüber. Sie begriff das Normale als Handlauf, an dem sie entlangbalancierte, zugleich vermiÃte sie das Flüchtige, die kurze Erregung und die Vorfreude darauf. Das Dauerhafte, gestand Inga sich ein, lieà sie miÃmutig und voll Ãberdruà zurück.
An einem dieser Tage kam sie nach Dienstschluà aus dem Schatten der Hagebutten auf die Lagereinfahrt zu. Hennings Auto war frisch gewaschen, er hatte das Chrom poliert; unanständig, wie die Teile blitzten. Er und der Mann der Kommandantur-Sekretärin standen an ihre Wagen gelehnt, unterhielten sich und rauchten. Männer, die ihre Frauen abholen, dachte Inga. Sie hätte sich über Hennings Besuch freuen sollen, er behandelte sie so anständig, wie es seine Situation erlaubte. Und doch wollte sie nicht mit Henning sein, noch mit irgend jemand. Sie bemühte sich, ihn häÃlich zu denken. Warum blieb er nicht in der Möbelfabrik, bei Trude, die ihn hierhin und dahin schickte, und Henning rannte.
Inga bemerkte die Krankenschwestern, die aus Station H kamen; von der andern Seite tauchte die Sekretärin auf, das Hütchen wippend auf dem Kopf. Henning half einer Lernschwester auf die Ladefläche, die Sekretärin erreichte den Gatten, küÃte ihn mit roten Lippen, er öffnete ihr die Autotür. Der Laster setzte sich in Bewegung, die Schwestern hielten sich fest; die Limousine überholte den Mannschaftstransport nach wenigen Metern. In einer Staubwolke blieb Henning zurück. Er bemerkte Inga, schloà die gemusterte Jacke und setzte sich auf den Schlagbaum. Sie winkte, schlüpfte zwischen Schranke und Wachhäuschen hindurch, der Posten wünschte ihr einen guten Abend.
Henning bot an, sie zum Abendessen einzuladen, sie fuhren in ein Lokal am Stadtrand und setzten sich ins Freie. Er bestellte Fisch und eine Flasche Wein. Für den Sonnenuntergang habe er
blauen Himmel bestellt, lachte er, sie bemerkte den fehlenden Bakkenzahn, das Zahnfleisch war an Stellen grau. Er setzte sich so dicht neben sie, als seien sie ein Paar, das sich einig war.
»Wie geht es den Jungs?« fragte Inga, er erzählte erwartungsgemäÃ. Sie rückte zur Seite, wollte seinen Schenkel nicht länger an ihrem spüren. Der Wein wurde serviert, er goà ihr ein halbes Glas ein, beugte sich vor, um Löwenzahn zu pflücken; die kahle Stelle am Hinterkopf war gröÃer geworden. Inga trank, kühl rann es in sie hinein.
Henning, der Kerl, doppelt so alt wie sie, Besitzer des mintgrünen Wagens, sah Inga traurig an. »Ich weiÃ, ich habe von dir nichts zu fordern«, sagte er, es sei seine Schuld, weil ihm die Kraft zur Entscheidung fehle. Sie griff zum Glas, es gefiel ihr nicht, Henning jämmerlich zu erleben.
»Das ist ein schwerer Wein«, sagte er. »Von dem nippt man bloÃ.«
Sie nahm einen tiefen Schluck. Am liebsten wäre sie aufgestanden und heimgelaufen, doch dort erwarteten sie Mariannes fragende Augen, auch sie wollte wissen, was war und was sein würde.
»Hast du dich mit dem Engländer eingelassen?« fragte Henning. Nie war ihr aufgefallen, daà seine Augenbrauen buschig zusammenwuchsen. Sie hätte sich mit ihm betrunken, wäre ein zweites Mal auf den Hochsitz gestiegen, auf der Decke, am Waldrand, im Auto würde sie alles tun â nur über den Leutnant reden wollte sie nicht. Der Totenbleiche, Konditor aus Schottland, der sie rief und springen lieÃ, wie es ihm gefiel. Glaubten nicht alle, ein Recht auf Inga zu haben? Dabei war sie die einzig Freie von ihnen, Stenoblock und Schreibmaschine, mehr brauchte sie nicht. Die prall gefüllte Tasche fiel ihr ein, fort vom Lager, den Eltern, vom Leutnant  â ans Meer, eine Postkarte an ihn, rasch hingeworfene Zeilen, die roten Muscheln am Strand â, wie lange reichte das Geld? Sie goà sich das nächste Glas voll. Die Generalin fiel ihr ein, Karo-Dame, die Strenge mit den eisblauen Augen, Könige und Buben schwärmten für sie. Hätten sie die Wahl, all die Burschen mit ihren
läppischen Hellebarden wären der Karo-Dame verfallen. Dabei war Kreuz die Hübscheste, dachte Inga, sie hatte beinahe die gleichen Locken, ihre und Ingas Lieblingsblume war die Margerite.
»Margerite
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