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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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sondern in einem kleinen Büro. Sie trug das graue Kostüm und eine Lesebrille. Neben dem Schreibtisch hing das Porträt eines Wehrmachtsgenerals, Wintermontur, keine Auszeichnungen, ein ruhiges Gesicht, mit groben Strichen gemalt. Erst beim Eintreten begriff Inga, wie unklar ihre Vorstellung von diesem Besuch war. Sie betrachtete die aufgeschlagenen Ordner, übersichtlich beschriftet, die Generalin führte Buch. Sie bot der Jungen an, den Stuhl vom Fenster heranzuziehen, Inga setzte sich. Die Kosigk drehte sich im Sessel, schwarze Schuhe, dunkle Strümpfe, sie, blätterte die Mappe mit langsamer Bewegung um, ihre Fingerspitze fuhr eine Zahlenkolonne entlang. Inga hatte gehofft, die andere würde Fragen stellen – wie die Arbeit bei den Engländern sei, Ingas Alter betreffend, wie es um ihre Familie stand.
    Â»Woher hast du das Geld?« Die Kosigk hob den Blick nicht von den Papieren. Vor dem Fenster verharrte ein trüber Tag, der April endete unfroh. Stockend erzählte Inga von der Madonna und was sie dafür bekommen hatte. Als der Name des Pferdedoktors fiel, schien die Generalin nicht überrascht.
    Â»Er zieht auf dem Schwarzmarkt die Fäden.« Sie schaute über den Brillenrand. Inga sprach von der anderen Seite Augusts, wie gut er die Pferde behandle und daß er ein Freund sei.
    Â»Warum gibt er dir so viel für die Antiquität?«

    Â»Weil sie wertvoll ist?« Sie zuckte die Schultern.
    Â»Nein.« Die Kosigk zog ein Etui hervor. »Er weiß mehr.« Sie zündete das Streichholz verdeckt an, wie die Soldaten. »Der Schwarzmarkt gibt nichts mehr her – alle hamstern .« Sie rauchte anders als Marianne, die ihre Zigarette aufrecht balancierte, die Generalin ließ sie im Mundwinkel hängen, achtete kaum darauf, wenn Asche herabfiel. »Etwas wird vorbereitet, nicht hier, bei den Amerikanern.« Sie schien weiterzurechnen. Inga fragte, was sie mit dem Inhalt der Reisetasche machen solle.
    Â»Tu nicht so scheinheilig.« Marion Kosigk richtete das glühende Zigarettenende auf sie. »Du spielst, und du denkst, du beherrscht es. Gleichzeitig verschlingt es dich.«
    Inga war weder erschrocken noch beleidigt, sie starrte die Aufkleber der Aktenordner im Rücken der Generalin an, von Hand geschrieben; mit Schablone erhielt man bessere Ergebnisse.
    Â»Brauchen Sie eine Sekretärin?« fragte sie schlicht.
    Ein kurzer überraschter Blick. »Du hast eine Stellung, um die dich jeder beneidet.« Die Kosigk schloß den Füller. »Warum setzst du sie aufs Spiel?«
    Â»Ich will nicht mehr für die Engländer arbeiten.«
    Â»Wegen Alec?« Die Generalin stand auf. »Er weckt das Gefühl, ihm helfen zu wollen, nicht wahr?« Ohne Einladung, die Jüngere möge ihr folgen, ging sie zur Tür und trat auf den Korridor.
    Â»Wer ist Gabor?« rief Inga ihr nach. »Was macht er?« Sie fürchtete, das Gespräch sei beendet, wollte nicht fort. Über diesen Flur war sie bereits einmal gelaufen, nachts, ihr Kleid hatte auf dem Boden ein helles Geräusch verursacht. Die Generalin war ins Freie getreten. Tagsüber wirkte der Park kleiner, noch standen die Laubbäume in Blüte, Tannen nahe dem Zaun, manche zehn Meter hoch. Im Laubengang zwischen den Trakten fegte ein alter Mann.
    Â»Gabor war der Adjutant meines Mannes.«
    Um mit der Generalin Schritt zu halten, mußte Inga langsam gehen.

    Â»Er durfte während der Hinrichtung dabeisein. Mir hat man es verwehrt.«
    Ingas Blick wanderte zu dem Riß in der Wand – der verlassene Bau, die ausgebrannten Fenster, welches Tier wurde dort gehalten? Sie hatte noch viele Fragen, wollte sich anvertrauen, mit jemand sprechen, der sie nicht wie ein Kind behandelte oder eine Verrückte.
    Von weitem war plötzlich Gesang zu hören. Der Alte mit dem Besen hielt inne, stützte Kinn und Hände auf den Stiel und lauschte.
    Â»Ich habe ihnen erlaubt, in der Garage zu üben.« Die Kosigk zeigte in jene Richtung, der Gesang erfüllte den ganzen Park. »Sonntag in zwei Wochen geben sie ihr erstes Konzert nach dem Krieg.«
    Sie ließ Inga stehen, ging weiter, wechselte ein paar Worte mit dem Angestellten und betrat die Garage. Schwere, düstere Musik, es waren ausschließlich Frauenstimmen; sie sangen fort und fort. Inga fror, der Wipfel einer Tanne spaltete das Licht in Millionen Strahlen.
    Â 
    Am folgenden Freitag ließ

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