Zwischen den Gezeiten
fiel ihm über die Augen; nun, da er sie nicht mehr ansah, war es leichter. Sie zog sein Hemd aus der Uniformhose und kratzte über den weiÃen Bauch. Er wehrte sich nicht, knurrte, als sei es ein Schmerz, sie lieà sich nach vorne fallen, kein KuÃ, der Geruch seines Halses hinter dem Ohr, sie roch an der Achsel. Die kurzen Laute kamen von ihr, sie bewegte sich rasch, erwartete seine Hände in ihrem Rücken. Ihre Augen verfolgten die Bilder des Teppichs â wer hatte sich ausgedacht, daà ein verschlungener blauer Zweig in ein Viereck mündete und dort zur Blume wurde? Jedes Bild begrenzte ein Rand, der von einem weiteren Rand eingefaÃt wurde, zuletzt fehlten die Ränder, Schlangen und Blüten hörten auf. Wütend preÃte Inga ihr Gesicht überallhin. Als sie aufschaute, hatte der Leutnant den Kopf zur Seite gedreht und streichelte ihre Schulter. Sie schmiegte sich an ihn, spüren sollte er, daà sie da war, sein Streicheln blieb gleichmäÃig, wie abwesend. SchlieÃlich setzte er sich auf.
»Du hast also Geld gestohlen.«
»Die Madonna ist nur ein Pfand«, widersprach sie.
»Dann hast du eben die Madonna gestohlen .« Er begann sein Hemd zu schlieÃen. »So fängt es immer an.«
Inga rieb die Augen, war mit einem Mal schrecklich müde. Sie rechtfertigte sich, das Geld für die Statue verdoppelt zu haben. »Es ist zum Spielen da!« wiederholte sie; ihr Angriff schlug in Ermattung um.
Er zog die Krawatte gerade, setzte sich korrekt aufs Bett, nacheinander legte er die Geldbündel in die Tasche zurück.
»Löse deine Madonna ein und geh nie wieder zur Generalin.« Er drückte den Verschluà zu.
»Und du?« fragte Inga enttäuscht. Sie lag da, mit entblöÃten Beinen; so wie er sie ansah, spürte sie, er wollte etwas Freundliches sagen. Es fiel ihm nichts ein.
»Ich möchte nicht, daà du dich um mich kümmerst.« Er stand auf, gegen die Wand gestützt, hinkte er zum Waschbecken. Das Wasser brauchte einige Zeit, röhrte und kicherte in der Leitung. Er wusch sich die Hände und trocknete sie sorgfältig ab. Als er sich umdrehte, verlieà Inga wortlos das Zimmer. Etwas war auf dem Teppich liegen geblieben, ein Gegenstand, den er nicht kannte.
Zum zweiten Mal trug sie das Geld durch die Stadt, strauchelte mehrmals, ihr Körper bewegte sich, als ob er aus Gummi wäre. Sie erreichte den Hof, hörte die Pferde gegen die Balken treten; die Boxen waren geschlossen. Inga stellte die Tasche ab, bedeckte die Augen und schaute durchs Fenster. Ein Tisch, Vorhängeschlösser an den Schränken, darauf stapelten sich Kisten bis zur Decke. Sie rief nach drinnen, klopfte, nichts rührte sich. Wie lange es abends schon hell blieb!
Die Tasche an die Brust gepreÃt, umkreiste Inga das Haus. StraÃenseitig waren die Scheiben undurchsichtig gestrichen, kein Laut, als wäre alles seit Jahren verlassen. Sie kehrte auf den Hof zurück und setzte sich auf den Brunnenrand; ihr Kopf sank auf die Brust. Einmal, vor vielen Jahren, hatte ihr Vater daheim am Brunnen gesessen, blanke Apfel vor sich auf dem Tisch. Er stach die Gehäuse heraus, sie redeten, er glitt mit dem halbrunden Messer ab und versenkte es im Handballen. Blut quoll um die Wunde hervor, ohne hinzusehen zog er das Messer aus dem Fleisch und griff zum nächsten Apfel. An diesem Tag hatten sie festgestellt, daà er kein Schmerzempfinden besaÃ. Der riesige Mann spürte nicht, wenn er sich den Kopf am Dachbalken stieÃ, Marianne muÃte ihn darauf aufmerksam machen, daà ihm Blut in den Hemdkragen lief.
In diesem Moment hatte Inga Angst, ihm ähnlich zu sein. Sie hauchte den üblen Atem fort, sprang zu Boden und klopfte heftiger gegen die Tür; schrie, sie habe das Geld und wolle ihre Madonna! Sie war überzeugt, August hörte sie, doch er zeigte sich nicht. Gedankenverloren
starrte sie zu den dunklen Verschlägen der Pferde, trottete auf die StraÃe und trat den Heimweg an; plötzlich fühlte sie sich mit ihrer Tasche voll Geld nicht mehr sicher. Beklommen fuhr sie sich durchs Haar â faÃte erschrocken nach -, sie hatte ihre Perlmuttspange verloren.
13
D ie Räume, durch die Inga geführt wurde, wirkten bei Tag kühl und freudlos, beschädigte Möbel, die Stühle beim EÃtisch paÃten nicht zueinander. Weder im Speisezimmer noch im Salon erwartete sie die Generalin,
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