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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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Zeitung beiseite. »Das spielen die Engländer?« fragte er mit langsamem Augenaufschlag.
    Â»Wozu braucht man die Muscheln?« Die Mutter witterte etwas, doch ihr Verdacht war zu unklar, um ihn fassen zu können.
    Inga nahm eine Handvoll. »Wir könnten sagen, die roten sind die höchsten.« Ungeduldig öffnete sie die Schublade und holte die Familienkarten hervor.
    Aufgeräumt putzte der Vater die Brillengläser. »Einen Versuch ist es wert. Das ewige Canasta –«

    Inga mischte gekonnt und verteilte. Ihre Mutter begriff sofort, worum es ging, Erik mußte alles mehrmals erklärt bekommen; ständig zeigte er Inga sein Blatt und wollte wissen, was es wert sei. Er wählte den Muscheleinsatz zu hoch und verlor. Sie spielten eine halbe Stunde, ohne daß die Partie recht in Gang kam; der Tanz mit den Karten blieb aus. Mariannes Blick schweifte zur Zigarettendose.
    Â»Fünf graue«, sagte Erik.
    Â»Das ist zuviel.« Die Mutter hielt ihn in der Bewegung zurück. »Tausch erst einmal deine Karten.«
    Â»Ich brauche nichts zu tauschen .« Sein entrüsteter Blick. »Fünf Muscheln, es bleibt dabei.«
    Â»Denk dir, es wäre echtes Geld!«
    Unbeirrbar hielt er die Hand über den Einsatz, seufzend schob Marianne den ihren dazu.
    Â»Ein Herz für Mutter«, zitierte Inga den Leutnant und legte ihr eine rote Karte hin. Sie selbst bekam das Karo-As und wartete ab. Marianne setzte maßvoll, Erik erhöhte um alle roten Muscheln, die er besaß. Ihr platzte der Kragen, sie schalt ihn gedankenlos, es mache keinen Spaß, wenn der Wert der Muscheln ihm nichts bedeute. Erik nahm eine zurück, das genügte ihr nicht. Wenn er nicht spielen dürfe, wie es ihm passe, gehe er lieber ins Bett! Marianne war kurz davor, ihre Karten hinzuwerfen, doch Inga bestand darauf, die Partie zu Ende zu bringen. Die Mutter ignorierte den Einsatz des Vaters und schob drei Tigermuscheln in die Mitte. Beleidigt sprang er auf und zog sich aufs Sofa zurück. Sie legte ihr Blatt offen, zwei niedrige Paare, Inga hätte sie gerne gewinnen lassen, doch die Asse stachen die Mutter aus.
    Â»Ich dachte noch, du hast Asse!« Sie lachte angespannt.
    Â»Das ist gar nichts!« Erik beugte sich riesenhaft über den Tisch und drehte sein Blatt um. Beide Frauen betrachteten die Karten sekundenlang.
    Â»Was soll das darstellen?«
    Â»Pik«, antwortete er triumphierend.

    Da lagen Pik-König, die Dame, die Neun und die Sieben.
    Â»Papa, entschuldige –«, wandte Inga ein.
    Â»Gib zu, das ist höher!« rief Erik. »Jetzt müßt ihr es zugeben!«
    Â»Das ist der Kreuz -Bube.« Sie zog ihn unter den anderen Karten hervor.
    Â»Aha?« fragte er mit schwindender Kraft. »Was habe ich also?«
    Â»Nichts!« Mit dem Nikotinfinger zeigte Marianne auf ihn. »Du hast wie immer auf nichts gesetzt.«
    Â 
    Abends darauf lief Inga nach Dienstschluß allein durch die Straßen; die Tage waren zu lang, um nach der Arbeit gleich heimzugehen. Mißmutig saß sie auf der sonnenbeschienenen Wiese vor dem Schloß, schlich durch den Charlottenhof, hörte das Wasser am Wehr rauschen. Zuletzt kehrte sie in die ältesten Gassen zurück.
    Das herankommende Auto war schnell, die Reifen klopften auf den Pflastersteinen, Inga trat an die Hauswand. Gleich darauf hupte es, neben ihr hielt Gabor. Zur Beifahrerseite gebeugt, ließ er das Fenster herunter. »Inga!« begrüßte er sie. »Wir haben dich lange nicht gesehen.«
    Sie antwortete etwas von der vielen Arbeit im Lager.
    Â»Du solltest dich schämen, so zu lügen.« Sein ganzes Gesicht war ein Lachen. »Die Engländer halten es nicht mit der deutschen Arbeitswut. Du spazierst durch die Straßen, weil du dich langweilst.« Er fragte, ob sie mit ihm etwas trinken wolle, sie log, man erwarte sie daheim.
    Â»Bist du dem Spiel untreu geworden?« Er ließ den Motor laufen, daß es in der Häuserschlucht dröhnte. Ein älteres Paar beobachtete die Szene. »Nächste Woche Freitag«, sagte Gabor. »Wie wär’s?« Er nannte eine Adresse. »Ich rechne mit dir. Es könnte dein Glücksabend werden.«
    Ohne ihre Antwort abzuwarten, gab er Gas, das Ehepaar trat zurück, man hörte das Dröhnen noch, als der Wagen schon verschwunden war.

    Die morgendliche Fahrt auf dem Laster, Stenoblock und Remington, das lustlose Diktat des Officers,

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