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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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ihm wuchsen.
    Eine neue Runde begann, alle setzten, er tauschte Karten, hielt Ingas Gebot, sie erhöhte zum dritten Mal – von einer Sekunde zur andern begriff er, sie ließ ihn gewinnen! Der Leutnant sah Inga mit einer Wucht und Düsternis an, daß sie zurückfuhr. In ihrem straff sitzenden Kleid, den Busen hervorgehoben, kam sie sich plötzlich nackt vor ihm vor. Diese Verachtung – Inga verschränkte die Arme –, was tat sie denn schon? Hatte sie ihm nicht von Anfang an mit dem Erlös der Madonna helfen wollen? »Hat dich der Mut verlassen?« fragte sie, um die eigene Verwirrung zu überspielen.
    Â»Passe«, stieß er hervor. Überrascht beobachteten die andern, wie Hayden die Karten hinwarf, aufstand und Inga den Gewinn überließ.
    Â»Sie gehen vor der Anfängerin in die Knie?« scherzte der Brillenträger.
    Mit steinerner Miene bat er Gabor um eine Zigarette. Sprachlos, verletzt, wußte Inga nicht, wie reagieren. Sie wollte das Geld nicht, in seine Hände hätte es fließen sollen, und kehrte
nun wieder zu ihr zurück. Hektisch beugte sie sich vor, umschloß die Jetons mit beiden Händen und zog sie vom Tisch. Ihr Ellbogen streifte das Glas der Generalin. Inga versuchte das Malheur zu verhindern, die Kosigk rutschte zurück – es war zu spät, Rotwein schwappte auf ihren Schoß. Das Glas kippte, fiel und zerbrach, der grüne Filz färbte sich dunkel. Alle am Tisch brachten Hosen und Ärmel in Sicherheit. Noch während die Runde in Bewegung geriet, entschuldigte Inga sich lautstark. Die Kosigk wollte nichts hören, mit spitzen Fingern spreizte sie die nasse Stelle vom Schoß ab. Der Captain rief die Bedienung, die Herren räumten Chips, Karten und Gläser ab, Angestellte entfernten das Tischtuch. Der Leutnant schlug vor, den Filz zu erneuern und weiterzumachen, die Generalin jedoch brach die Partie ab. Erschrocken versuchte er sie umzustimmen, es sei noch früh, die Karten gerade erst warm geworden. Sie müsse sich umziehen, erwiderte die Kosigk und wollte anschließend zu ihren Gästen zurück; sie bestand darauf, die Jetons einzutauschen.
    Das viele Papiergeld paßte kaum noch in Ingas Tasche, die Freude über ihren Gewinn aber war längst verflogen. Knappe Verabschiedung, alle außer dem Leutnant kehrten zur Gesellschaft zurück. Er wollte nicht mehr in den Salon; an seiner Seite brach auch Inga auf, spürte, welch unangenehme Pflicht es ihm war, sie heimzubringen. Schweigend liefen sie am schmiedeeisernen Gitter entlang, trotz der Krücke war er stets ein Stück voraus.
    Â»Wie hast du gespielt?« fragte sie, um der finsteren Stimmung entgegenzuwirken.
    Er hielt abrupt, Inga rannte fast in ihn hinein. »Nie wieder!« Das Krückenende piekte hart in ihre Richtung. »Mach das nie wieder!« Er überquerte den Fahrdamm, ohne ihre Erwiderung abzuwarten.
    Â»Ich habe dich nicht gewinnen lassen«, log sie entrüstet.
    Er hinkte weiter, sah die Fassade hoch. »Hier muß ich nach links. Du hast es ja nicht mehr weit.« Gepreßte Lippen, ein kurzes Nikken, er nahm die Straße ins Rautjesviertel.
    Hilflos hob Inga die Tasche, wollte ihm nachrufen, er verschwand
bereits um die Ecke. Wie geprügelt schlich sie heim, das Papier unterm Arm wog schwer. Erschöpft betrat sie das Haus, huschte am Zimmer der Eltern vorbei, Eriks Schnarchen brach nicht ab. Eins nach dem andern öffnete sie die Häkchen, das blaue Kleid sank zu Boden; achtlos warf sie die pralle Tasche in den Kleiderschrank.

12
    I nga legte die grünen Ordner an, die grauen wurden vernichtet. Sie lachte über den Sergeant, der in ihrer Gegenwart alles Deutsche verunglimpfte; seine Sauerkraut -Witze blieben harmlos. Sie spielte mit dem kurzatmigen Hund des Chefs. Der Officer wurde mit jedem Tag übellauniger, seit langem rechnete er mit seiner Rückversetzung. Das Lager sollte verkleinert werden, Einheiten würden abrücken, Einheiten sollten kommen; täglich hörte man etwas anderes. Ein junger Flieger wurde beim Kameradendiebstahl überrascht, in seinem Spind fand man Feuerzeuge, Taschenmesser, ein wenig Geld; er gestand ohne Rückhalt und bat die Bestohlenen öffentlich um Verzeihung – es sei wie eine Sucht über ihn gekommen. Alle erhielten ihre Gegenstände zurück, dennoch leitete der Kommandant ein Verfahren ein. Da dessen Sekretärin mit Grippe

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