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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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klopfte der Kommandant auf den Tisch. »Ich glaube Ihnen nicht«, sagte er eisig. »Sie erfinden das, um die Kleine zu schützen.«
    Zu hastig tat Alec einen Schritt vor. »Bedenken Sie – was ist plausibler -, daß eine Zivilperson, ein halbes Kind, einen Einbruch begeht, Schlüssel in ihren Besitz bringt, mit dem passenden Code den Tresor öffnet und einen Berg Geld heimlich aus dem Lager schafft – oder daß jemand mit hohen Schulden der Täter ist?« Alec zeigte aus dem Fenster. »Von der Krankenbaracke hierher sind es wenige Schritte. Mangelhafte Bewachung, veraltete Schlösser –« Er straffte sich. »Die Sache war ein Spaziergang.«
    Kriegsgericht und Gefängnis, dachte er währenddessen, unehrenhafte Entlassung zumindest; und doch fühlte er sich erleichtert, beinahe vergnügt, das Rechte zu tun. Schlechtes Vorbild, ein Schmunzeln, vom Commander sofort bemerkt.

    Â»Sie finden das amüsant?« Der Kommandant war mit zwei Schritten an der Tür. »Denken Sie nicht, die Sache geht als Kavaliersdelikt durch!«
    Hart drehte er den Knauf. »Verhör abgesagt«, rief er nach nebenan. Jasper kam wedelnd auf die Beine. »Rufen Sie an«, befahl der Offizier. »Die Inhaftierte auf freien Fuß setzen, Papiere folgen.«
    Der Sergeant wollte etwas einwenden. »Verfahren eingestellt«, schnitt ihm der Commander das Wort ab und sah aus dem Augenwinkel, wie die Schreibkraft den Block zuklappte und die Stifte verstaute. Nachdenklich trat der Kommandant vor die Tasche und schaute hinein. Der Hund nützte die offene Tür, lief zu seinem Herrn und hechelte zu ihm empor.
    Draußen setzte der Sergeant das Barett auf und verließ die Baracke. Hinter der Föhrenschonung, am Rande des Lagers, sah er auf der Veranda des Zellenblocks den Militärpolizisten lümmeln. Ihm zu Füßen saßen zwei im Gras, die einander weinend umarmten.

34
    M arianne lag ausgestreckt auf dem Bett, Erik hatte ihr das graue Kleid angezogen. Früher, wenn sie es trug, hatte Inga es gerne aus der Nähe betrachtet, weil sich im dunklen Gewebe kleine blaue Kronen versteckten. Sie legte Mutters Zigarettenpackung auf den Nachttisch, drei wären noch zu rauchen gewesen. So wie Erik ihr das Seidentuch umgebunden hatte, sah es aus, als habe sie Zahnweh. Die Wangen waren schmal, doch wirkte das Gesicht nicht unbelebt, nur müde, älter, als Marianne in Ingas Vorstellung war.
    Â»Es ist alles geregelt«, sagte der Vater und schob das Papier über den Tisch; gebückt stützte er sich auf, die Krawatte hing über dem Totenschein.
    Inga fragte, wen er benachrichtigt habe.
    Â»Dich«, war die geflüsterte Antwort. Wie in jeder Lebenslage nahm er an, die Tochter wisse auch hier, was zu tun sei.
    Â»Als ihr den Onkel beerdigt habt, was ist da geschehen?«
    Der Vater hob den Kopf, schaute zur Wand, hinter der seit so vielen Jahren die lautlose Witwe lebte.
    Â»Das haben alles die Frauen –« Er schloß den Mund, als sei der Satz damit beendet.
    Nun beherbergte das Haus zwei Verwitwete, die einander kaum kannten; einmal im Jahr begleitete Erik die Frau seines Bruders auf den Friedhof, mit Jäten und Pflanzen verging ihnen die Zeit. Inga mochte die Photographie nicht, die hinter Glas in den Grabstein eingelassen war; der Onkel wirkte darauf eitel, das Bild sah ihm nicht ähnlich.

    Â»Das Familiengrab ist voll«, sagte der Vater.
    Sie begriff erst einen Moment später, daß Horst den letzten freien Platz eingenommen hatte – für den nächsten Toten mußte das Grab vergrößert werden. Sie stellte sich vor, wie man den schwarzen Marmor aufbrechen, den schweren Stein, Sinnbild für die Ruhe der Toten, ins Wanken bringen würde, um bis zu den Särgen zu graben. Die Großeltern waren zu der Zeit gestorben, als Inga laufen lernte. Marianne hatte von der Kraft, dem Tatendrang ihres Vaters erzählt, der Kühle der Mutter, von einer Firma und Geschäften war die Rede gewesen, Ereignissen, lange bevor es Inga gab.
    Â»Geschichten über Mama erzählen«, murmelte sie, als müsse es auf der Liste der Erledigungen ganz oben stehen. Auf die verrückteste Weise wünschte sie plötzlich, ihre Mutter und der Leutnant hätten einander besser gekannt. Marianne verstand den Humor der Briten, die herbe Art, selbst das Grauenhafte locker zu nehmen, als sei jede Not leichter zu meistern,

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