Zwischen den Zeilen
oder Probleme mit Zahlen, oder dem Lesen. Was man eigentlich im Alltag erst mal nicht bemerkt...«
»Komm zum Punkt, Joschi«, fordert sie mich auf.
»Na ja, könntest du dir vorstellen, dass du eine Beziehung mit demjenigen hast und ihn echt liebst und so glücklich mit ihm bist, dass du es vielleicht nicht bemerkst? Und es dich auch nicht stört, weil...« Ich weiß nicht, wie oft ich mittlerweile all unsere gemeinsamen Momente durchgegangen bin. Jede Sekunde… prüfend… das Für und Wider abwägend... jedenfalls kommt es mir so vor. Und je länger ich drüber nachdenke, desto mehr zweifle ich daran, dass es alles einfach nur ein Scherz ist.
Und desto entsetzter bin ich, dass eigentlich alles perfekt zusammenpasst und ich's trotzdem nicht gesehen hab. Vielleicht ist es dieses Teilchen, das mir fehlt, um mir diese kurzen Momente, in denen ich manchmal das Gefühl hatte, dass irgendwas komisch ist und er mir was verheimlicht, zu erklären. Vielleicht könnte es wirklich sein. Aber es ist so… verdammt irreal…
Da sind keine Bücher in seiner Wohnung. Jedenfalls kann ich mich an kein einziges erinnern. Er hat sich damals bei Thalia nirgendwo umgesehen und hatte keine Ahnung von Shades of Grey . Wie um aller Welt kann man sich so was entziehen? Selbst wenn man es nicht gelesen hat… aber was, wenn man es einfach nicht lesen kann ? Er wusste nicht, was draufsteht und ich hab's nicht bemerkt. Auch nicht, als ich ihm den Klappentext hingehalten hab.
Er konnte nicht lesen, was an diesem Abend, als ich ihn vor seiner Wohnung überrascht hab und er ohne Sporttasche kam, weil er in seinem Kurs statt im Fitnessstudio gewesen ist, auf dem Zettel des Glückskekses stand. Deswegen wollte er ihn nicht vorlesen. Und die Tasche, die er angeblich aus dem Wagen geholt hat, war Daniels. Ich hab sie Samstag beim Grillen auf dem Boden an der Garderobe stehen sehen. Vermutlich hat der ihm auch diesen beschissenen Keks-Zettel vorgelesen, als er sie geborgt hat.
Sein Abgang und die fadenscheinige Erklärung vor meinen Freunden, unser erstes Date im Kino, diese Sache mit dem Kinosaal... die Cocktailkarte im Cinemascope , die falschen Zigaretten...
Er hat bestellt, was ich erwähnt oder auch genommen hab. Ist abgehauen, damals auf der Party, als wir Outburst! spielen wollten. Und vielleicht ist er's nicht, weil er keine Gesellschaftsspiele mag. Deswegen war er so panisch im Bad, bevor er verschwunden ist. Und vermutlich sind wir sogar einfach nur deswegen an diesem Cruising -Strand gelandet, weil ich ihm gesagt hab, dass er entscheiden soll, und er nicht lesen konnte, was auf dem kleinen Wegweiser stand. Er wusste nicht, was ich von ihm wollte, als ich ihm die Forumsseite hingehalten hab. Und diese E-Mail. Er hat unanstaendiges Maedchen geschrieben. Ich hab mir nichts dabei gedacht, aber vermutlich hat er's einfach aus meiner E-Mail-Adresse kopiert... Scheiße, wie konnte ich nur so blöd sein? Oder er so gut darin, dass es niemand bemerkt?
»Sicher, dass es nicht um Ben geht?« Milla sieht mich an und ich kann in ihrem Gesicht lesen, dass sie mir nicht glaubt.
»Sicher«, behaupte ich trotzig.
»Ist ja schon gut.« Abwehrend hebt sie die Hände.
»Also, könntest du?«, wiederhole ich meine Frage.
»Weiß nicht«, sagt sie mit einem Schulterzucken. »Und nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass es tatsächlich nicht um Ben geht, wie zur Hölle kommst du drauf?«
»Nur so«, sage ich schnell. »Und wärst du sauer, wenn er dir das nicht sagen würde?«
»Puh, keine Ahnung. Käme ja drauf an, was es wäre. Also ich meine, wenn es eine Rot-Grün-Schwäche wäre, die würde mich wohl nicht jucken, aber wenn er nicht lesen könnte, dann… aber ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass mich so ein Kerl interessiert.«
Das dachte ich eigentlich auch mal und ich bin immer noch nicht sicher, ob ich damit klarkomme. Aber ich vermisse ihn… und auch wenn ich die Frage, ob ich mit jemandem, der keine Bücher liest, glücklich sein kann, in der Theorie sicherlich verneint hätte, hat mir am Ende nichts gefehlt… Im Gegenteil... Ich war glücklich mit ihm, glücklicher als mit all meinen Ex-Freunden, die, jeder für sich, ein anderes Problem hatten.
»Ich weiß nicht, glaubst du echt, dass das relevant ist?«
»Schon«, sagt Milla und nickt bedächtig. »Wobei es wohl mehr Leute gibt, die damit Probleme haben, als man denkt. Neulich war ein Artikel dazu in der Zeitung. Von einem Mann, der es dann irgendwann mit
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