Zwischen den Zeilen
dass er weiß, dass ich ihn früher oder später wieder darum bitten muss. Und er weiß, wie sehr ich es hasse.
»Du bist so ein Arsch«, zische ich. Wütend schlage ich mit der Hand auf die Tischplatte neben ihm und am liebsten würde ich ihm wohl eine reinhauen. Und es gab Zeiten, da hätte ich das vermutlich getan. Aber das ist zum Glück lange her...
Ein letztes Mal schenke ich ihm einen vernichtenden Blick, bevor ich mich umdrehe und ihn einfach stehen lasse. Zurück zu Marlene gehe, die meinen Auftritt aus sicherer Entfernung beobachtet hat, in ihr Halsband greife und die Leine wieder aufnehme.
»Ich geh mit dem Hund.«
***
»Und? Abgeregt?«, fragt Daniel, als ich eine Stunde später die Tür vom Binderaum in den Laden öffne und die Leine vom Halsband löse.
»Nein«, entgegne ich knapp.
»Ben, ich…«
»Lass mich in Ruhe!«, fauche ich. Und komme mir dabei so verdammt hilflos vor.
Er weiß es. Die drei Worte hämmern in meinem Kopf. Da ist kein Platz für irgendwas anderes. Beinahe wäre ich in ein Auto gelaufen, vorhin beim Überqueren der Straße. Im letzten Moment konnte ich ausweichen. Er weiß es. Er weiß, was ich all die Zeit so verzweifelt versucht hab, vor ihm zu verstecken. Und er ist einfach gegangen.
Er hätte bleiben können, um mit mir zu reden. Aber das hat er nicht getan. Stattdessen fährt er nach Dänemark und lässt den Idioten und den Scherbenhaufen hinter sich. Ich wische mir übers Gesicht. Aber ich bin ziemlich sicher, dass Daniel trotzdem sehen kann, dass ich geheult hab. Scheiße… Verdammte Scheiße!
»Okay«, sagt Daniel und tätschelt Marlene kurz, bevor sie sich auf ihr Kissen trollt. Unschlüssig stehe ich in der Tür.
»Kommst du heute noch mal arbeiten?«, will er wissen.
»Schätze, eher nicht«, sage ich knapp.
»Verstehe…«
»Und morgen auch nicht«, setze ich nach.
»Willst du kündigen?«, fragt Daniel provokativ.
»Als ob ich sonst irgendwohin könnte.«
»Du wolltest doch, dass sich niemand mehr in dein Leben einmischt.«
»Fuck you!«
»Ben…«
»Spar's dir einfach!«, zische ich. »Diese Sache mit ihm und mir geht dich nichts an.«
»Ja, da hast du wohl recht.« Auch Daniels Ton ist nun scharf. Jedenfalls für seine Verhältnisse. »Diese Sache mit Josh und dir, dass ihr euch ganz offensichtlich liebt, das geht mich wohl tatsächlich nichts an. Vielleicht war es falsch, es ihm zu sagen, und vielleicht kommt er tatsächlich nicht zu dir zurück, aber ich lass nicht zu, dass du dich jetzt wieder aufgibst. Dass du in Selbstmitleid zerfließt und wieder so tust, als sei die ganze Welt gegen dich. Du bist kein Idiot, Ben, und das weißt du auch. Und wenn du willst, dass sich niemand mehr in dein Leben einmischt, dann wirst du diese Sache dieses Mal verdammt noch mal durchziehen… Vielleicht mit Josh, vielleicht ohne ihn… Das ist deine Entscheidung… aber schmeiß jetzt nicht wieder alles hin, Ben… Leb endlich dein Leben. Mach diesen Kurs, geh zur Berufsschule, fang eine Ausbildung an. Du weißt, dass Lesen und Schreiben nirgendwo außer in Deutsch bewertet wird, also versuch's wenigstens. Ich weiß, dass du das schaffst... Ich weiß, dass du wütend auf mich bist, aber du weißt auch, dass du auf mich zählen kannst.« Eindringlich sieht er mich an. Wie der Vater, an den ich mich nicht mehr erinnern kann. Wie jemand, dem ich nicht einfach egal bin und der mich liebt. Der mich nie aufgegeben hat, egal wie schwierig ich war. Es war keine leichte Zeit damals, als ich nach Hamburg gekommen bin… Ich schätze, ich schulde ihm was. Er und Gerd haben so viel für mich getan. Ohne die beiden wäre ich nicht hier. Und ich glaube, ich will mir nicht mal vorstellen, wo ich heute wäre…
»Es tut mir leid, okay?«, sagt Daniel leise.
»Ich…« Mir tut es auch leid. Ich sehe ihn an. Unentschlossen und mit einem beklemmenden Gefühl, das mir die Kehle zuschnürt. Natürlich weiß ich, dass er mitbekommen hat, dass ich das letzte Mal nicht im Kurs war. Ich konnte nicht… und ich wusste nicht, was es noch bringen soll, jetzt, da es vorbei ist. Josh ist weg, wir sind nicht mehr zusammen und ich komme irgendwie zurecht. Was einmal ist, wenn auch Daniel nicht mehr da ist, darüber will ich lieber nicht nachdenken.
»Bringt doch sowieso nichts. Ich lerne es nie…«, sage ich und schlucke. »Und niemand liebt so jemanden wie mich…«
»Du bist ein Idiot, Ben.«
»Ja, ich weiß«, sage ich und wenn es nicht so bitter wäre, müsste ich wohl
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