Zwischen den Zeilen
zu.
»Und was willst du hier?« Es klingt nicht abwehrend, sondern freundlich. Auch wenn ich so recht keine Antwort darauf weiß. Ich musste nur einfach mit jemandem reden.
»Weiß nicht, ich…« Fahrig zucke ich die Schultern.
»Ben ist nicht hier«, sagt er, als er merkt, dass er nicht mehr mit einer richtigen Antwort rechnen kann.
»Ist er… in seinem Kurs?«, frage ich zaghaft.
»Keine Ahnung«, antwortet Daniel. »Ich bin nicht sein Babysitter. Ich wünschte, er wäre es, aber vermutlich ist er es nicht. Er war nicht mehr dort, seitdem ihr…«
»Ja, ich weiß«, erwidere ich verlegen. »Ich bin dort gewesen.« Bin ich wirklich. Zwanzig Minuten zu früh. In einem Hauseingang auf der anderen Straßenseite. Weil ich sicher sein wollte. Aber er war nicht dort.
Es war nicht viel los um diese Zeit, ich hätte ihn gesehen. Die Volkshochschule hat nur einen Eingang. Ich hab bei der Nummer auf der Homepage angerufen und da ich schon dabei war, hab ich sogar nach der Raumnummer gefragt.
Ein paar Leute sind hineingegangen und ein paar hinaus. Aber nicht Ben. Ich hab gewartet, bis eine halbe Stunde nach Kursbeginn. Er ist nicht gekommen.
»Du bist dort gewesen?« Daniel klingt verwundert.
»Ja, ich wollte mit ihm reden. Dann dachte ich, dass er vielleicht hier ist. Schließlich hat er das immer behauptet.« Ich lache bitter, nehme den letzten Zug und schnippe die Kippe dann in den Rinnstein. Das schlechte Gewissen, das sich unter Daniels tadelndem Blick kurz in mir breitmacht, ignoriere ich.
»Es ist nicht leicht für ihn, Josh«, sagt er leise, während wir uns weiter auf die nächste Straßenecke zubewegen.
»Mich die ganze Zeit über anzulügen?«, frage ich direkt. »Und am Ende so zu tun, als läge es an mir?« Ich glaube, dass er mir gesagt hat, dass er mich nicht mehr liebt, hat mich beinahe am meisten verletzt. Weil es wahnsinnig wehgetan hat. Und ich nicht wusste wieso.
»Es liegt ganz sicher nicht an dir, Josh«, sagt Daniel. »Im Gegenteil. Ben hat viel für dich empfunden. Und das tut er noch, ich denke, das weißt du auch, oder?«
»Keine Ahnung«, gebe ich zu. »Ich schätze, ich weiß überhaupt nichts mehr. Das alles ist so abstrakt und jetzt ist Schluss und ich fühle mich schlecht und vermisse ihn. Dabei hab ich doch nichts falsch gemacht...«
»Nein, das hast du nicht.« Daniel schüttelt den Kopf.
»Ich meine, es war nur eine Frage und er…« Ich schlucke.
»Die Frage nach dem Test?« Offenbar ist Daniel bestens informiert. Und ich bin nicht sicher, wie ich das finden soll. Aber vermutlich ist Daniel über ziemlich viele Dinge im Bilde. Bringt diese Sache mit Ben am Ende wohl so mit sich.
»Ja«, gebe ich also zu. Scheiß drauf…
»Er wollte einfach nicht, dass du mitbekommst, dass er das Formular nicht ausfüllen kann. Man kann es auf der Homepage nicht runterladen und wenn er etwas nie zuvor gesehen hat, ist das etwas, was ihm Angst macht, weil er es vielleicht nicht ohne Hilfe kann.«
»Und wenn er es sieht, dann kann er es?«
»Er kommt gut zurecht mit Dingen, die ihm vertraut sind. Er lernt schnell auswendig. Und er ist beileibe nicht dumm. Im Gegenteil, so durchs Leben zu kommen wie er, erfordert eine Menge Kreativität und Intelligenz. Aber es gibt einfach immer wieder Situationen, mit denen er nicht umgehen kann, in denen er panisch wird und davonrennt. Alltägliche Dinge, die für jemanden, der es kann, völlig unbedeutend sind, aber für Ben sind sie eine Herausforderung... jedes Mal… Er wollte nicht, dass du es bemerkst, Josh, weil du ihm wichtig bist und er sich dafür schämt, dass er ist, wie er ist.«
»Das hast du gemeint, neulich in der Küche«, stelle ich fest.
»Da dachte ich für einen Moment, er hätte es dir gesagt.«
»Nein, hat er nicht. Und ehrlich gesagt wäre ich wohl von selbst niemals drauf gekommen. Es ist so…«
»Ja, es ist schwer vorstellbar für jemanden, der nicht so ist. Ich selbst hab auch eine ganze Zeit gebraucht, um mich daran zu gewöhnen.«
»Seit wann weißt du es?«, frage ich.
»Er hat schon ein paar Monate bei uns gearbeitet«, erinnert er sich. »Kerstin, die Frau seines Bruders, ist die Stieftochter meines Cousins. Zuerst lebte er bei ihnen, aber das hat nicht lange funktioniert. Also hat sie mich um einen Job für ihn gebeten. Wir haben eine Weile gebraucht, bis wir es bemerkt haben. Im Grunde hat Gerd es eigentlich zuerst bemerkt. Ben war schon damals ziemlich clever darin, es zu verbergen.« Er lächelt.
»Das ist er
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