Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
Veranstaltung hatte er sich auf dem Parkplatz herumgeschlichen, und als der Ministerpräsident und seine Begleitung sich mit dem Auto zum Essen ins Freimaurerhotel von Linköping begeben hatten, war er ihnen in seinem Wagen gefolgt. Er hatte ein Stück vom Hotel entfernt gehalten, war auf der Straße vor dem Hotel hin und her gelaufen und hatte dann endlich die Hotelrezeption betreten. Inzwischen war er bereits von einer in aller Eile verdoppelten Überwachungsgruppe umgeben, die insgesamt aus vier Ermittlern von der Sicherheitspolizei in Norrköping bestand.
»Wissen wir, ob er bewaffnet ist?«, fragte der Gruppenleiter per Funk.
»Die Antwort ist nein«, antwortete der Ermittler, der das Objekt am besten sehen konnte, während er zugleich seine Dienstwaffe aus seinem Schulterhalfter in seine linke Jackentasche wandern ließ.
»Na gut«, sagte der Gruppenleiter. »Wenn er sich auch nur einen Meter in Richtung Festsaal bewegt, dann schnappt ihr ihn euch.«
Aber das hatte er nicht. Stattdessen war er rasch wieder auf die Straße hinausgegangen, hatte sich in sein Auto gesetzt und war nach Hause gefahren. Am Tag darauf hatte er, nach einer Besprechung der Führungsgruppe, den Codenamen Immortelle erhalten.
Als Ermittlungsobjekt hatte Immortelle sich verheißungsvoll entwickelt, als Mensch hingegen machte er einen immer schlechteren Eindruck. Plötzlich schien er die Hoffnung aufgegeben zu haben, seinen Sohn zurückholen zu können. Er versuchte nicht einmal mehr, Kontakt zu dem Jungen aufzunehmen. Seinen früheren Angestellten wurde gekündigt, und seine Aktivitäten wurden auf Sparflamme zurückgeschraubt. Seine Kontakte zur Umwelt, per Telefon oder auf andere Weise, waren drastisch zurückgegangen. Er pflegte jetzt gewisse seiner früheren Interessen und hatte sich zudem mindestens ein neues zugelegt, das unangenehm gut zu seiner bisherigen Geschichte zu passen schien. Er konnte ganze Stunden am Schießstand verbringen. Er lag auf dem Schießwall und gab einen Schuss nach dem anderen auf einen in dreihundert Meter Entfernung aufgebauten Pappkameraden ab, mit Hilfe seines Jagdgewehrs und eines frisch erworbenen Zielfernrohrs vom größten Modell. Inzwischen war er zu einem guten Schützen geworden. Er konnte es mit den Scharfschützen der Polizei durchaus aufnehmen.
Am frühen Morgen verschwand er in Trainingsanzug und Turnschuhen im Wald. Einige Monate zuvor hatte er für eine Runde auf der Aschenbahn in seiner Nähe eine gute Viertelstunde gebraucht. Jetzt schaffte er seine drei Kilometer in weniger als neun Minuten. Abends stemmte er Gewichte. Er hatte sich in einem seiner Gewächshäuser eine Trainingsbank, Stangen und Gewichte aufbauen lassen, und seine Trainingsschichten dauerten fast jeden Abend zwei Stunden. Er war stark, er war schnell, er konnte schießen, und das alles war wirklich nicht gut.
Außerdem war er in die Sozialdemokratische Partei eingetreten. Wohl kaum aus Überzeugung, denn nichts in seiner Geschichte wies darauf hin. Aus den vorsichtigen Anstreichungen, die er mit Bleistift in der Parteizeitung, dem Mitgliedsblatt der Ortsabteilung und den anderen in seiner Mülltonne gefundenen Rundschreiben vorgenommen hatte, ging hervor, dass er sich vor allem dafür interessierte, wo der Ministerpräsident sich in nächster Zukunft aufhalten würde. Ein Motiv hatte er, über Mittel verfügte er ebenfalls. Jetzt suchte er nur noch nach einer passenden Gelegenheit, darüber war man sich nicht nur bei der Sicherheitspolizei in Norrköping absolut einig, sondern auch bei den hohen Chefs in Stockholm.
Bergs Vortrag hatte auf seine Zuhörer Eindruck gemacht. Der Justizminister war fast geschockt gewesen.
»Ja, ich bin immer ein wenig erschüttert, wenn ich so etwas höre«, sagte er. »Man möchte doch lieber nicht wissen, dass es solche Menschen gibt.«
Danach hatte er sich ausführlich darüber verbreitet, wie es zur Zeit des alten Königs zugegangen war. Damals, als er noch ein junger Spund gewesen war, der seinen Vater zu Palmgrens Lederladen hinter dem Theater Dramaten begleitet hatte, um Papas neue Reitstiefel abzuholen, und dann war plötzlich der König hereingekommen und hatte allen im Geschäft freundlich zugenickt.
»Er war ganz allein unterwegs, ja, abgesehen von seinem Adjutanten, aber der war wohl vor allem dabei, damit der König nicht selbst zu bezahlen brauchte. Er war ganz allein mitten in Stockholm unterwegs, und niemand wäre auch nur auf die Idee gekommen, ihn auf irgendeine
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