Zwischen dir und mir
nicht fassen zu können. »Der will bestimmt nur was von dir, wie die ganzen anderen Jungs, die dir hinterhergucken.«
»Tun sie gar nicht«, verneinte Lisa, wurde aber rot. Sie hasste es, wenn ihre Freundinnen sie darauf ansprachen.
»Ach, Lisa.«
»Alex hat es nicht deswegen getan, da bin ich mir ganz sicher. Es war mehr so, als ob er mir helfen wollte, mir etwas zeigen wollte, was ich schon längst hätte begreifen sollen.«
»Ihr hattet viel getrunken«, gab Marie ihr zu Bedenken.
»Mmh … sag mir doch einfach, dass es richtig war!«
»Weißt du eigentlich, woher dieser Alex kommt? Die Familie von dem ist so verdammt kaputt«, ging Marie nicht auf Lisa ein.
»Woher willst du das denn wissen?«
»Als der vor zwei Jahren in unsere Klasse kam, hat Mama mir das erzählt. Die hat seine Mutter vor Gericht vertreten, als die Eltern sich haben scheiden lassen. Das war damals schon fünf Jahre her. Seitdem darf der seinen Kindern nicht näher als einen Kilometer kommen – oder so. Richtig krass. Der hat die Mutter so geschlagen, dass die mit Wunden im Gesicht zum ersten Prozess kam. Total krank sind die.«
Stille. Lisa musste schlucken.
»Heißt noch lange nicht, dass Alex genauso ist«, erwiderte sie – immer noch etwas perplex.
»Warum nimmst du den jetzt auf einmal in Schutz?«, war Marie verwundert.
»Oh, Marie!«, seufzte Lisa nur. Musste sie denn dauernd neue Fragen stellen?
»Willst du es nicht noch einmal mit Dennis probieren? Vielleicht ist es ja nur eine Pause.«
»Eine Pause? Vielleicht …« Marie verunsicherte sie nur noch mehr. Was war nur mit ihr los? Sonst hatte sie doch immer Verständnis für ihre Probleme.
War es wirklich nur eine Pause? Wenn sie vorbei war, würde dann alles weitergehen wie bisher? »Was ist denn mit dir los?«, fragte Lisa nach.
»Wie?«
»Na, mit dir?«
»Mit mir ist gar nichts los«, erwiderte Marie verdutzt.
Scheiße, warum verstand sie es nicht? Aber ein Streit mit Marie war das Letzte, was sie sich jetzt wünschte. »Ach, schon gut«, murmelte Lisa.
»Ich mach mir Sorgen um dich. Du warst den ganzen Abend so verändert. Erst das mit dem Champagner … Total abgedreht.«
Lisa wurde nervös, spielte an ihren Haaren rum, während sie sich im Bett herumdrehte.
»Dann das mit Dennis … und Alex. Warum hast du mich nicht gleich angerufen?«
Warum hatte sie das nicht? »Ich war total fertig. Ich wollte einfach nur nach Hause«, wählte sie die halbe Wahrheit als Antwort.
»Na ja. Weißt ja, dass du mir alles sagen kannst«, antwortete Marie, nachdem sie etwas zu lang geschwiegen hatten.
»Klar«, antwortete Lisa verunsichert.
Sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte.
»Willst du vielleicht nachher noch shoppen gehen? Das hilft«, meldete sie sich schließlich am anderen Ende.
Da war Marie wieder die Alte. Lisa atmete auf. »Ich frag meine Mama mal, hab Megastress mit meinen Eltern. Muss noch Klavier üben. Vielleicht wird es nichts. Ich schreib dir noch eine SMS .«
»Okay, ich liebe dich.«
»Ich dich auch.« Aufgelegt. Es war wieder still. Ganz allein lag sie da, öffnete die Hand und ließ das iPhone ins Kissen fallen.
4
Unruhe hatte Lisa gepackt. Keine Sekunde konnte sie sich auf den Unterricht konzentrieren. Die Zahlen an der Tafel verschwammen. All das, was sie sonst aufmerksam gelernt hatte, schien ihr nun unwichtiger nicht sein zu können. All das, worauf sie vorher eine Antwort gehabt hatte, war von anderen Fragen verdrängt worden. Ununterbrochen zupfte sie an ihren Haaren, schaute immer wieder, ob eine SMS angekommen war – nichts davon beruhigte sie. Schaute sie sich um, sah sie Jungs zu ihr hinstarren. Von einem Tag auf den anderen war sie solo. Seit sie das Schulgelände betreten hatte, spürte sie die Blicke in ihrem Rücken. Sie musste sich nicht umschauen, um zu wissen, dass die Mädchen tuschelten und auf sie zeigten – spätestens, wenn sie ihnen den Rücken zugekehrt hatte. Auch wenn sie mit ungekämmten Haaren in die Schule kam, eine ausgewaschene, abgewetzte Röhrenjeans und einen ausgeleierten Hollister-Pullover trug, schien sie nicht weniger anziehend zu sein – und doch fühlte sie sich abgestoßen. Nur zwei Augen suchte sie vergeblich. Hatte Alex vergessen, was passiert war? Wartete er darauf, dass sie ihn ansprach?
Nein, Alex saß still in der letzten Reihe und schaute mal zur Tafel, mal auf den Tisch. Worüber dachte er wohl nach? An die Nacht, in der Dennis ihn so zugerichtet hatte? Sie konnte ihn noch weniger
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