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Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lino Munaretto
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als wollte sie jeden Moment platzen. Warum konnte er sich nie wehren? Oder wollte er es überhaupt? Es war still im Nebenzimmer. Kein Stöhnen, kein knarrendes Bett. Eisige Stille. Mit letzter Kraft stapfte er durch einen Berg von Schulbüchern und Kleidung zu seinem Bett und ließ sich fallen. Nebenan ging das Leben weiter.
    • • •
    Ganz leise schloss sie die Tür auf. Ewig war sie draußen in der Nacht gesessen, bis ihre Augen abgeschwollen waren und die Tränen getrocknet. Ihre Mutter war die Letzte, die sie so sehen sollte. Der Versuch, unbemerkt in ihr Zimmer zu huschen, war bereits gescheitert, als sie den ersten Fuß in den Hausflur setzte. Ihre Mutter stand wieder auf der Treppe, immer noch in ihrem Morgenmantel, und schaute sie an. Diesmal hatte sie keine Haarbürste in der Hand, sondern ein Telefon.
    »Lissy. Du bist zu spät«, sagte sie nicht vorwurfsvoll, sondern enttäuscht.
    »Ich hab die Zeit vergessen«, entschuldigte sie sich leise. Ein Lächeln schaffte sie nicht.
    »Und wie siehst du denn aus?«, hakte ihre Mutter nach. Sie hatte bemerkt, dass Lisas Frisur völlig durcheinander war, sie ihren Gürtel und die Pumps in der Hand trug.
    »Mir ging es nicht so gut. Migräne«, log sie und fasste sich an den Kopf. Sie wollte nur in ihr weiches Bett fallen und die Decke über den Kopf ziehen
    »Hast du zu viel getrunken?«
    Ein Blick in den Spiegel zeigte Lisa, dass sie immer noch gerötete Augen hatte.
    »Nein, Mama.« Ihre Stimme war etwas aggressiv geworden.
    »Wirklich nicht?«
    »Mir geht es einfach scheiße, Mama«, seufzte sie und setzte einen Schritt an ihr vorbei auf die Treppe.
    »Ist es wegen Dennis?«
    Lisa blieb ein paar Stufen über ihr stehen, ohne sich umzudrehen.
    »Ist schon okay, Mama.« Sie schleppte sich weiter, bis sie oben angekommen war.
    »Nächstes Mal bist du pünktlich.«
    »Ja.«
    »Versprochen?«
    »Versprochen«, flüsterte sie, nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatte. Da stand sie, alleine.
    Ihr Herz pochte, auch wenn alles andere plötzlich zu erstarren schien. Sie warf die Handtasche auf das Sofa und blieb vor dem Spiegel stehen. Wen sah sie da?

3
    Der erste Sonnenstrahl weckte Alex aus einem viel zu kurzen Schlaf. Sein ganzer Körper schmerzte entsetzlich. Nach Weiterschlafen war ihm nicht mehr. Traum und Wirklichkeit vermischten sich in dem Puzzle des Vortags, ohne ein klares Bild zu ergeben.
    Irgendwann, als Alex seine Augen wieder mühsam öffnete, fiel ihm die Digitalanzeige seines Radioweckers auf. Elf Uhr elf. Den Kopf in die Matratze gedrückt, stöhnte er. Hätte er nicht für immer schlafen können? Inzwischen wusste er wieder, was passiert war, konnte Geträumtes und Erlebtes trennen. Warum hatte er das nur getan? Sein Schädel fühlte sich immer noch an, als sei eine Abrissbirne eingeschlagen. Hätte er gekonnt, er wäre ewig liegen geblieben. Wenige Sekunden später hockte er vor der Toilette, beugte sich hinunter, steckte zwei Finger in den Hals. Ein Schwall Mageninhalt schoss in die Schüssel. Deutlich konnte Alex sein Abendessen erkennen. Sofort spülte er den Mund unter dem Wasserhahn aus. Immer wieder, bis der ekelhafte Geschmack endlich verschwunden war.
    Mit dröhnendem Kopf wankte er zurück durch den Flur in sein Zimmer, wo er sich wieder auf sein Bett fallen ließ und die Decke anstarrte, bis seine Gedanken wieder zu Lisa zurückwanderten. Er konnte froh sein, wenn sie ihn dafür nicht hasste. Es kam ihm vor, als habe er eine Chance vertan, ehe er überhaupt an sie geglaubt hatte. Egal, was er sich eingebildet hatte, jetzt musste er jede Hoffnung, die er sich machte, schnell vergessen, wenn es nicht richtig peinlich werden sollte.
    • • •
    Das Wohnzimmer war groß. Weitläufig. Kalt. Stumm. Wenn Besteck auf Porzellan kratzte, stand ein schriller Ton im Raum. Kauen. Viel zu laut. Jedes Geräusch stach wie eine Nadel. Lisa blickte unter gesenkten Augenlidern umher, dann wieder auf ihren Teller, wo eine Lachsschnitte unangetastet lag.
    »Warum isst du nichts?«, fragte ihre Mutter.
    Alle Augen ruhten auf ihr.
    »Kein Hunger«, murmelte sie leise.
    »Geht es dir gut?«
    Wie in einem Käfig saß sie auf ihrem Stuhl. Das weiche Lederpolster kam ihr in diesem Moment wie ein Nagelbrett vor. Ihr ganzer Körper spannte sich an. »Ist schon okay.« Der Versuch, ein Lächeln aufzusetzen, hätte beinahe wieder ihre Tränen gelöst. Wie versteinert saß sie da. Ihre Gedanken, die sie einfach nur loswerden wollte, schwirrten weiter in ihrem

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