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Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lino Munaretto
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Tür der Jungenkabine schwang wieder zu.
    »Jetzt können wir«, flüsterte Lisa, und sie verließen die Umkleide.
    Ihr Weg führte geradewegs zur Haupttür, da griff Annika sie an ihrem Top und zog sie zurück. »Lass uns hören, was sie erzählen«, kicherte sie. Es war kein vergnügtes Lachen. Es überspielte nur schwach ihre Anspannung.
    »Komm schon, lass uns lieber gehen«, seufzte Lisa und strich sich durch die feuchten Haare. »Das bringt doch nichts.«
    »Hab echt bis vor ein paar Tagen gedacht, du wärst ’ne Schwuchtel«, hörte sie dumpf Toms Stimme. Wen meinte er? Auch Lisa konnte ihre Neugier nun nicht mehr bändigen. Sie legte ihr Ohr ebenfalls an die Tür zur Umkleide und gemeinsam lauschten sie.
    »Ihr Pfeifen hattet ja nie eine feste Freundin.« Es war Dennis.
    »Ja, toll. Dafür haben wir eine nach der anderen geknallt.« Sie kannte die Stimme des Vierten nicht. Lachen. »Woher soll ich wissen, dass Lisa sich so anstellt.«
    »Hab dir immer gesagt, dass die Lisa sich was auf sich einbildet. Diese Marie sieht ja nicht scheiße aus. Die hat doch nur gewartet, bis sie von dir genagelt wird.«
    »Na also. War doch klar, dass ich jede andere kriege, wenn ich es nur will. Einfach verdientes Geld, ihr Loser.«
    »Die fünfzig Euro war es mir wert, darauf zu wetten, dass du noch mit achtzehn Jungfrau bist«, feixte Sören. »Hey, lass das«, lachte er. Dennis musste ihn mit etwas getroffen haben, was dumpf auf den Boden fiel. Wahrscheinlich ein Turnschuh. »Hier hast du das Geld.« Er lachte immer noch.
    »Alles eine Wette«, raunte Annika ungläubig.
    Lisa schwieg und lehnte reglos an der Wand. Die Eifersucht gegenüber Marie, die sie sich bisher nicht hatte eingestehen wollen, war verflogen. Immerhin war sie es nicht gewesen, die von ihm verarscht worden war.
    Sie spürte keine Genugtuung. Nein, sie war auch nicht wütend. In diesem Moment fühlte sie gar nichts. Alles, was in den letzten Stunden, Tagen, Wochen – ja, Monaten passiert war, schien wie ein unwirklicher Traum, aus dem sie nun jäh erwachte.
    »Diese kleinen Schlampen sind ja wirklich naiv wie zehn Meter Feldweg. Diese Greta musste ich gar nicht fragen, da ist die mir schon an den Schwanz gegangen«, erzählte Sören weiter.
    »Was?« Annika stieß einen erstickten Laut aus, der Lisa zusammenfahren ließ. Sie konnte ihre Freundin gerade noch zurückzerren, bevor sie an die Tür trommeln konnte. Sie zog sie panisch Richtung Ausgang. »Wie kann Greta das …?«, stammelte Annika, brachte aber den Satz nicht zu Ende. Wieder verkrampfte sich ihr ganzer Körper, und Lisa zog sie an sich heran, damit sie sich beruhigte.
    »Wir gehen«, beschloss Lisa, und Annika folgte ihr immer noch schluchzend aus der Turnhalle. Da standen sie, als wären sie am Punkt Null angekommen. Nichts. Es blieb nichts. Nur die Erfahrung, dass alles Vergangene auf Lügen gebaut gewesen war.
    »Ich geh zurück und schlag ihn tot«, kreischte Annika hysterisch und drehte sich um.
    Wieder packte Lisa sie und musste sie in den Arm nehmen. »Lass den Scheiß, das ist es nicht wert.«
    Es dauerte einige Minuten, bis Annikas Tränen verebbten und sie nur dasaßen und ins Leere starrten. »Weißt du noch, wie wir in der sechsten Klasse Liebesbriefe geschrieben haben?«, fing Annika an, als sie eine Weile schweigend auf der Bank gesessen hatten.
    »Klar.« Lisa lächelte matt, als sie sich ihrer Freundin zuwandte.
    »Das ist so kindisch, wenn man zurückschaut. Und jetzt sitzen wir hier und sind kein Stück weiter.«
    Lisa nickte nur. Sie ließ die Beine baumeln und lehnte sich zurück, die Augen geschlossen.
    »Was sagst du Marie?«
    »Was soll ich sagen?«
    »Ich kann immer noch nicht fassen, wie Greta das … Sie war schon immer verlogen. Aber dass sie so eine … Fotze ist.«
    Annika würde gleich wieder in Tränen ausbrechen, wenn sie nichts unternahm.
    »Lass das nicht an dich ran, Anni. Du brauchst Greta genauso wenig wie ich, und Sören ist ein Spasti. Genau wie Dennis. Am Ende ist man immer schlauer.«
    Annika schaute zu ihr auf. »Bist du schon über Dennis weg?«
    Lisas Blick blieb an einer weißen Blume hängen, die im Wind zitterte und im Schein der Sonne so ganz alleine da stand. Sie würde auch noch morgen blühen, übermorgen, und den Tag danach, bis sie irgendwann verwelkte. Früher hatte Lisa eine nach der anderen genommen und die Blätter abgerissen: Er liebt dich, er liebt dich nicht … Das letzte Mal war sie elf gewesen.
    Diesmal ließ sie die Blume stehen.

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