Zwischen Ehre und Verlangen
nicht?” äußerte Amanda bestürzt.
“Ich entsinne mich, dass wir über Ihre Ehe sprachen und ich ärgerlich über das war, was Sie mir erzählt haben”, antwortete Jared langsam. “Meine Entrüstung hatte indes weniger mit Ihnen und mehr mit etwas zu tun, das sich in meinem Leben ereignet haben muss.”
“Sie wissen nicht, was es ist?”
“Nein”, räumte er bedächtig ein, rieb sich müde die Schläfen und schaute ernst Mrs. Clare an.
“Aber an den Grund, weshalb Sie hier sind, erinnern Sie sich?” wollte sie wissen.
“Ja”, sagte Jared nickend. “Sie hatten mich gebeten, Sie heute Morgen pünktlich um zehn Uhr aufzusuchen und niemanden wissen zu lassen, wo ich sei. Was bezwecken Sie mit dieser Vorsicht?”
“Das ist schnell erklärt”, antwortete Amanda ruhig. “Miss Porter vermutet, dass Sie sich für mich interessieren, und ist kurz vor Ihrer Ankunft hier zu Ihnen gefahren, um Ihnen zu raten, mehr Rücksicht auf meinen guten Ruf zu nehmen. Sie hält sich jetzt im ‘Halbmond’ auf.”
“Oh, glaubt sie, ich sei ein Abenteurer, ein Hallodri?” fragte Jared halb belustigt.
“Ich hatte diesen Eindruck”, gab Amanda verlegen zu. “Als sie mich gestern auf Sie ansprach, war ich in der unangenehmen Situation, ihr alles über den Unfall und den nächsten Morgen im ‘Goldenen Lamm’ berichten zu müssen. Möglicherweise glaubt sie nicht, dass Sie an Gedächtnisschwund leiden. Jedenfalls hat sie mir vorgehalten, Sie könnten irgendwie gebunden oder ein Tunichtgut sein, der seinen Gläubigern entgehen will. Sie wollte Sie sprechen, um Ihnen nahe zu legen, sich mir fern zu halten.”
“Wenn sie eine so schlechte Meinung von mir hat, wird es vermutlich nichts nützen, ihr zu sagen, ich hätte nicht das Gefühl, verheiratet zu sein”, erwiderte Jared amüsiert. “Und ich kann mir auch nicht denken, dass ich so hohe Schulden habe, um mich aufs Land absetzen zu müssen.”
“Sie könnte recht haben”, wandte Amanda sachlich ein.
“Das kann ich zur Stunde nicht beurteilen”, erwiderte Jared. “Sie haben mir indes noch nicht gesagt, warum Sie mich sprechen wollen.”
“Ich habe Sie hergebeten, um Miss Porter zuvorzukommen”, erklärte Amanda unbehaglich. “Ich wollte den Eindruck vermeiden, dass Sie denken, ich hätte sie zu Ihnen geschickt.”
“Warum hätte ich das annehmen sollen? Wenn Sie mich nicht sehen wollen, können Sie mir das doch mitteilen.”
“Gewiss”, stimmte Amanda zu. “Nachdem ich Ihnen jetzt den Grund für diese Unterredung erläutert habe, wüsste ich gern, was der Anblick des Porträts meines Gatten in Ihnen ausgelöst hat.”
Jared furchte die Stirn und versuchte angestrengt, sich zu erinnern. “Ich weiß noch, dass ich plötzlich eine junge blonde Dame zu sehen wähnte, die blaue Augen hatte, bemerkenswert schön war und sehr charmant lächelte. Mir ist eingefallen, dass sie einen alten Lebemann heiraten sollte, ich diese Ehe jedoch verhindern wollte. Das ist mir nicht gelungen, und darüber war ich sehr verärgert.”
“Wahrscheinlich hat die Tatsache, dass ich mit einem sehr viel älteren Mann vermählt war, diese Erinnerung in Ihnen hervorgerufen”, mutmaßte Amanda. “Es könnte sein, dass durch andere Äußerungen oder Gegenstände weitere Erinnerungen ausgelöst werden, durch die wir mit der Zeit herausfinden können, wer Sie sind. Sie hatten vermutet, meine Mutter könne mich zur Ehe mit Frederick gezwungen haben, eine Annahme, die weit von der Wahrheit entfernt ist. Er kannte die Umstände, die mich dazu veranlasst haben, seine Gattin zu werden. Und ich habe das ihm gegebene Versprechen, ihm eine gute Frau zu sein, nach besten Kräften erfüllt, ihn nicht nur geschätzt und gemocht, sondern mit der Zeit wirklich geliebt. Ich glaube, behaupten zu können, dass er mit mir glücklich war. Jedenfalls hat er es mir nie verargt, dass ich ihm keinen Erben geboren habe.”
“Darf ich wissen, warum Sie ihn geheiratet haben?” warf Jared ein.
“Mein Vater starb, als ich zwölf Jahre alt war. Fünf Jahre später war nicht mehr zu übersehen, dass meine Mutter nicht gut gewirtschaftet hatte, da sie mir mein gesellschaftliches Debüt nicht ermöglichen konnte. Ich konnte immer sehr viel besser als sie mit Geld umgehen, und folglich hatte sie nichts dagegen, die Leitung des Besitzes in meine Hände zu legen. Ich bin sehr praktisch veranlagt und habe gespart, wo ich konnte, aber dennoch hat es stets an den nötigen Mitteln gefehlt. Irgendwann kam mir
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