Zwischen Ehre und Verlangen
dann der Gedanke, ich müsse, um diesem unerfreulichen Zustand abzuhelfen, eine vorteilhafte Partie machen. Gewiss, ich hätte als Gesellschafterin oder Erzieherin arbeiten und mir so den Lebensunterhalt verdienen können. Mein Verdienst hätte jedoch nicht für meine Mutter und mich gereicht. Deshalb habe ich diesen Weg nicht eingeschlagen, sondern zwei Jahre lang Geld zurückgelegt, damit ich mein gesellschaftliches Debüt geben und dafür entsprechend ausgestattet sein konnte. Es gelang mir, einen entfernten Verwandten zu überreden, meinen Aufenthalt in London zu finanzieren, sodass ich schließlich an einer Saison teilnahm, meiner einzigen.”
“Es könnte sein, dass wir uns damals begegnet sind”, sagte Jared nachdenklich.
“Nein, das war nicht der Fall, denn ich hätte mich bestimmt an Sie erinnert”, entgegnete Amanda. “Zudem war ich nicht auf vielen Bällen und auch nicht bei Almack’s.”
“Ich gehe davon aus, dass Sie in London Erfolg hatten”, warf Jared ein.
“Wie man es nimmt”, erwiderte sie lächelnd. “Ich habe zwei Anträge erhalten. Der erste Mann hat mir vorgeschlagen, seine Mätresse zu werden, und der zweite war Frederick. Außer diesen beiden Herren hat niemand mir große Beachtung geschenkt. Zudem musste ich bald feststellen, dass ich mir Illusionen gemacht hatte. Den Mann meiner Träume, der nicht auf der Suche nach einer reichen Frau war und mit mir vorlieb genommen hätte, gab es nicht. Ich war schrecklich unerfahren und blauäugig”, fügte sie schmunzelnd hinzu.
“Und dann haben Sie sich für jemanden entschieden, den Sie nicht liebten.”
“Richtig, aber Frederick empfand sehr viel für mich. Er war seit einigen Jahren Witwer, hatte keine Kinder, und bis er mich traf, trug er sich nicht mit der Absicht, sich ein weiteres Mal zu vermählen. Ich habe ihm gegenüber keinen Hehl daraus gemacht, dass ich ihn nur sympathisch fand, und ihm auch meine Lebensumstände beschrieben. Er meinte, beides sei für ihn nicht von Bedeutung, und bestand darauf, mich zu heiraten. Ich gebe zu, dass ich unschlüssig war, doch schließlich hat er mich davon überzeugt, wir beide könnten miteinander glücklich werden, und das hat sich bewahrheitet.”
“Lebt Ihre Mutter noch?”
“Nein, sie starb ein Jahr nach meiner Hochzeit. Selbst wenn ich hätte ahnen können, dass ich sie verliere, wäre ich bereit gewesen, Fredericks Gattin zu werden. Ich habe mich nicht vermählt, um meiner Mutter ein Opfer zu bringen. Es war eine Vernunftehe, aus der dann eine wirklich harmonische Beziehung wurde.”
“Wie ich gehört habe, wahren Sie das Andenken Ihres Mannes, indem Sie Ihren Besitz so leiten, wie er das getan hat.”
Einerseits fühlte Amanda sich geschmeichelt, andererseits störte es sie, dass man über sie redete. “Ich weiß, etliche Leute, insbesondere ältere Damen der hiesigen Gesellschaft, missbilligen es, dass ich mich mit geschäftlichen Dingen befasse”, erwiderte sie trocken.
“Sie sind wirklich eine ungewöhnliche Frau, die keine Rücksicht auf Konventionen nimmt”, meinte Jared anerkennend. “Aber …”
“Mir war klar, dass Sie Einwände haben würden”, unterbrach Amanda schmunzelnd. “Ich habe Sie um diesen Besuch gebeten, um Sie vor einer Moralpredigt zu bewahren, und nun werden Sie mir ins Gewissen reden.”
“Keineswegs”, entgegnete Jared ernst. “Nachdem ich jetzt weiß, wie zurückgezogen Sie leben, kann ich verstehen, dass Miss Porter um Ihren guten Ruf besorgt ist. Vorher habe ich Sie für eine weltgewandte und lebenslustige Frau gehalten.”
“Ach, haben Sie gedacht, ich sei eine vergnügungssüchtige junge Witwe, mit der Sie ein leichtes Spiel haben würden?”
“Ehrlich gesagt, ja”, antwortete Jared unumwunden.
“Sie sind ein Frauenheld, wie Miss Porter vermutet hat”, erwiderte sie erheitert.
“Inzwischen habe ich meine Meinung über Sie jedoch geändert”, fuhr er ruhig fort. “Ich denke nicht mehr daran, ein Techtelmechtel mit Ihnen zu haben.”
“Wie beruhigend für Ihre arme Gattin”, sagte Amanda auflachend. “Andererseits bedauere ich sie, weil sie mit jemandem verheiratet ist, der fast mittellos aufs Land fährt und dort Ausschau nach reichen jungen Witwen hält!”
“Wäre ich wirklich an Liebschaften interessiert, würde ich ganz gewiss nicht ohne das nötige Kleingeld aufbrechen”, widersprach Jared belustigt. “Nein, für die Tatsache, dass ich mit fast leeren Taschen in der Postkutsche saß, muss es einen anderen
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