Zwischen Ehre und Verlangen
Augen. Da er großen Wert auf Förmlichkeit legte, ärgerte er sich darüber, dass Amanda ihn zuerst dem Fremden vorgestellt hatte, ganz so, als sei dieser gesellschaftlich bedeutsamer. “Brownsmith?” wiederholte er nachdenklich. “Ist Ihre Familie in Hampshire ansässig, Sir?”
“Verzeihen Sie, wenn ich die Frage nicht beantworte”, sagte Jared leichthin. “Ich halte mich hier unter anderem Namen auf, weil ich nicht möchte, dass meine Anwesenheit bekannt wird. Ich hoffe, Sie haben Verständnis.”
“Natürlich”, log Humphrey.
Amanda bewunderte Mr. Brownsmith’ Geistesgegenwart und Reaktionsschnelligkeit.
“Kennen Sie Mrs. Clare schon lange?” wollte Humphrey wissen und sah prüfend Mr. Brownsmith an.
“Nein”, gab Jared ehrlich zu. “Ich habe viel Gutes über sie gehört. Da sie in hohem Ansehen steht, wie sie ihr Anwesen bewirtschaften lässt, habe ich beschlossen, ihr die Aufwartung zu machen. Sie hat mich freundlicherweise empfangen und ausgiebig mit mir darüber gesprochen, welche Verbesserungen im Agrarbereich bisher von ihr durchgeführt wurden. Im Übrigen hat sie erwähnt, auch Sie seien ein passionierter Gutsbesitzer.”
Sie glaubte, den Ohren nicht trauen zu können, und staunte über Mr. Brownsmith’ Geschick, Humphrey für sich einzunehmen.
“Heißt das, Sie sind hier, um Ländereien zu begutachten, die Sie vielleicht kaufen möchten?” fragte Humphrey eifrig. “Dann kann ich gut verstehen, dass Sie inkognito unterwegs sind, damit der Preis pro Acre nicht steigt.”
“Sie sind sehr scharfsinnig, Sir”, antwortete Jared lächelnd.
“Danke”, äußerte Humphrey geschmeichelt. “Sie können sich auf meine Diskretion verlassen, Sir.”
“Das freut mich zu hören”, erwiderte Jared und stand auf. “Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Ich möchte Mrs. Clares Gastfreundschaft nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Ich weiß Ihr Entgegenkommen sehr zu schätzen, Madam”, fügte er freundlich hinzu, während Miss Porter sich erhob, zum Klingelzug ging und läutete. “Wunschgemäß werde ich Sie wissen lassen, wie erfolgreich ich war.”
Auch Amanda stand auf und äußerte warmherzig: “Ich hoffe, Sir, Sie erreichen sehr schnell, was Sie sich vorgenommen haben.”
“Danke”, sagte er schmunzelnd und hob ihre Hand zum Kuss an die Lippen.
Sie begleitete ihn zur Tür und raunte ihm zu: “Ich wünschte, Sie wären gegangen, bevor Miss Porter zurückkam.”
“Sie sprechen mir aus der Seele”, äußerte er gedämpft und leicht verstimmt. Dann drehte er sich um, wünschte den Herrschaften einen angenehmen Tag und ging an dem die Tür öffnenden Butler vorbei in den Korridor.
Sobald sie geschlossen war, kehrte Amanda zu ihrem Sessel zurück und nahm wieder Platz.
“Ein seltsamer Mensch!”, sagte Humphrey. “Kaum hatte ich ihn nach seiner Herkunft gefragt, gab er mir diese ausweichende Antwort! Ich wüsste gern, wer er in Wirklichkeit ist!”
Im Stillen stimmte Amanda zu. Sie fühlte sich den Tränen nahe, weil sie den Entschluss gefasst hatte, Mr. Brownsmith nicht mehr zu sehen. In dem Moment, da sie sich dazu durchgerungen hatte, war diese Entscheidung ihr vernünftig erschienen, da sie davon ausgehen musste, dass er eines Tages sein Gedächtnis wiedererlangt haben und zu seinen Angehörigen zurückkehren würde. Offenbar hatte er sich mit ihrem Schritt abgefunden, denn sonst hätte er die letzte Bemerkung wohl nicht gemacht. Jetzt befürchtete sie indes, dass es ihr sehr schwer fallen würde, auf den Umgang mit ihm zu verzichten, da sie ihn zum ersten Mal in Gesellschaft erlebt und neue Einblicke in sein Wesen gewonnen hatte.
“Es geht uns nichts an, wer Mr. Brownsmith tatsächlich ist”, erwiderte Jane kühl.
“In einem Punkt war ich nicht seiner Meinung”, verkündete Humphrey. “Ich weiß, du bemühst dich nach besten Kräften, dein Land profitabel zu bewirtschaften, aber du tätest gut daran, die Leitung des Besitzes einem Mann anzuvertrauen. Von einer Frau kann man nicht erwarten, dass sie geschäftstüchtig ist.”
Amanda wusste zu genau, wie rückständig Humphrey bei der Bewirtschaftung seiner Ländereien war. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, welchen Preis er im letzten Jahr für sein Getreide erzielt hatte, und ihm dann gesagt, wie hoch ihr Erlös gewesen war. Sie verzichtete jedoch darauf, ihn zu verärgern, und fragte beiläufig: “Glaubst du, dass es hier in der Gegend Grundeigentümer gibt, die an ihn verkaufen werden?”
“Ja”,
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