Zwischen Ehre und Verlangen
vermählt.”
“Eine Sonderlizenz!”, wiederholte Irene pikiert. “Dergleichen steht nur Personen von Stand zu!”
“Zweifellos”, äußerte Amanda gleichgültig. “Im Übrigen muss ich dich darauf hinweisen, dass die beiden seit langem miteinander gehen. Folglich überrascht es mich nicht im Mindesten, dass sie jetzt heiraten werden. Aber natürlich bedauere ich, meine sehr tüchtige Zofe zu verlieren. Soll ich dich zur Kutsche bringen?”
“Ja, bitte”, antwortete Irene und setzte sich in Bewegung. “Was weißt du über diesen Mr. Brownsmith, den Humphrey kürzlich bei dir kennen gelernt hat?” erkundigte sie sich spitz. “Ist er ein Betrüger?”
“Wie kommst du darauf?” fragte Amanda und spürte sich vor Ärger erröten. “Nein, ich bin nicht gut über ihn informiert”, setzte sie wahrheitsgemäß hinzu.
“Aber er war doch bei dir!”, sagte Irene beharrlich.
“Ja”, bestätigte Amanda unwirsch. “Warum hätte ich ihn abweisen lassen sollen, wenn er mir aus Höflichkeit die Aufwartung macht? Er interessiert sich sehr für zeitgemäße landwirtschaftliche Methoden, und mir war es ein Vergnügen, ihm über die Art, wie ich die Leitung meines Besitzes handhabe, Auskunft zu geben. Nicht minder interessiert hat er sich dann mit Humphrey unterhalten.”
Das dem Sohn gezollte Lob besänftigte Irene etwas. “Humphrey ist wirklich auf dem neuesten Stand der Dinge”, erwiderte sie stolz. “Nun, es ist beruhigend zu wissen, dass du einen so positiven Eindruck von Mr. Brownsmith hast, auch wenn du im Umgang mit Männern nicht sonderlich erfahren bist. Humphrey meinte, Mr. Brownsmith sei ein wahrer Gentleman.”
“Ich stimme ihm zu”, sagte Amanda gleichmütig und blieb vor der Kutsche des angeheirateten Vetters stehen. “Ich wünsche euch einen angenehmen Tag”, fuhr sie fort, wartete, bis Humphrey seiner Mutter in den Wagen geholfen hatte, und ging dann zu ihrem Landauer, neben dem Jane auf sie wartete.
“Ich fand das Getue, das Mr. Clare vorhin in der Kirche um dich gemacht hat, äußerst peinlich für dich”, sagte Jane kopfschüttelnd, während die Freundin einstieg, und folgte ihr dann. “So hat er sich noch nie in der Öffentlichkeit aufgeführt. Man hätte meinen können, dass du für ihn Vorrang vor seiner Mutter hast.”
“Du hast recht”, stimmte Amanda zu und lehnte sich, da der Zweispänner anfuhr, bequem zurück. “Die Absichten, die Humphrey auf mich hat, wären nicht deutlicher zu erkennen gewesen, wenn er das Aufgebot für unsere Hochzeit hätte aushängen lassen.”
“Wie hat seine Mutter auf sein Benehmen reagiert?”
“Ich habe flüchtig wahrgenommen, dass sie missbilligend das Gesicht verzog”, antwortete Amanda. “Glaubst du, dass er, wenn sie ihm von der Ehe mit mir abrät, auf sie hören wird?”
“Das bezweifele ich”, sagte Jane ehrlich. “Zum einen findet er sich sehr attraktiv und begehrt dich, zum anderen hat er es auf deinen Besitz abgesehen.”
“Wäre die Tatsache, dass er Fredericks Vetter ist, ein Hinderungsgrund für die Ehe mit mir?” fragte Amanda skeptisch.
“Nein”, erwiderte Jane. “Er ist nicht in direkter Linie mit dir verwandt. Du wirst ihm die Wahrheit gestehen müssen. Er ist zwar etwas begriffsstutzig, aber wenn du mehrere Anläufe unternimmst, schaffst du es vielleicht, ihn zum Aufgeben zu bewegen. Erklär ihm in aller Deutlichkeit, ihr würdet nicht zueinander passen.” Jane fiel auf, dass Amanda errötete, und fügte schmunzelnd hinzu: “Falls dieser Grund der einzige ist, der dich davon abhält, Mr. Clare zu heiraten.”
4. KAPITEL
I m Bewusstsein, sehr vorteilhaft auszusehen, verließ Amanda die Kutsche, stieg die Freitreppe hinauf und lächelte Fisher an, der sie und ihre Gesellschafterin höflich ins Haus bat und zwei Lakaien anwies, den Damen die Mäntel abzunehmen. Dann geleitete er Mrs. Clare und Miss Porter in den Empfangssalon, wo sie bereits von der Herrschaft erwartet wurden. Höflich begrüßte Amanda die Hausherrin und deren Sohn und schaute sich in dem Raum um, in dem so oft ihre Gäste versammelt gewesen waren. Mindestens zwanzig Paare waren anwesend, und sie war froh, dass sie sich für diesen Anlass besondere Mühe mit ihrem Äußeren gegeben hatte. Einige der Geladenen hatte sie noch nie gesehen. Sie nahm jedoch an, dass die Menschen, die sich angeregt unterhielten, in der näheren Umgebung wohnten und sich kannten. Im Übrigen waren etliche Herren anwesend, die nicht in Begleitung zu sein
Weitere Kostenlose Bücher