Zwischen Ehre und Verlangen
erwiderte Amanda frostig und ärgerte sich darüber, dass er nicht Platz nahm, sondern hinter ihrem Sessel stand und ihr so ein Gefühl der Unsicherheit gab.
Impulsiv ging er nun um ihren Sessel herum zu ihr, beugte sich hinunter und ergriff ihre Hände. “Du bezauberst mich, Amanda, mein Liebling”, sagte er spröde.
“Lass das, Humphrey!”, erwiderte sie scharf. “Mach dich nicht lächerlich!”
“Ich empfinde so viel für dich, mein Schatz”, fuhr er, unbeirrt von ihren abwehrenden Worten, fort und hielt, obwohl sie sich sträubte, entschlossen ihre Hände fest. “Meine Bewunderung für dich ist so stark geworden, dass ich dich bitten möchte, meine Gattin zu werden.”
“Du?” fragte Amanda spöttisch. “Du kritisierst doch dauernd mein Verhalten und meine Ansichten. Wieso bist du jetzt der Meinung, ich wäre die richtige Frau für dich?”
“Ich weiß, dass deine Eigenmächtigkeiten und deine Selbstherrlichkeit aufhören werden, sobald wir vermählt sind”, antwortete Humphrey überzeugt. “Du benötigst jemanden, der dich mit fester Hand leitet, die Aufsicht eines charaktervollen und energischen Ehemanns. Mein Heiratsantrag ist der Lohn dafür, dass Frederick, der so lange gekränkelt hat, von dir derart hingebungsvoll gepflegt wurde.”
“Was für ein Blödsinn!”, warf Amanda kopfschüttelnd ein. “Ich habe ihn geliebt und sehr geschätzt und es nie als reine Verpflichtung empfunden, für ihn da zu sein.”
“Wie selbstbewusst du bist, Amanda”, stellte Humphrey verstimmt fest. “Ich sehne mich danach, dich zu zähmen und Gehorsam zu lehren.”
“Du tust mir weh!”, sagte sie erzürnt. “Lass mich endlich los!”
Er beachtete ihre Aufforderung nicht, hob ihre rechte Hand an und bedeckte sie mit Küssen.
Ihr ekelte vor ihm, und verzweifelt versuchte sie, sich von ihm zu befreien. Jäh stand sie auf und versetzte ihm einen heftigen Stoß gegen die Brust.
Überrascht torkelte er einige Schritte zurück, ohne sie loszulassen, riss sie ungestüm an sich und schlang den rechten Arm um sie. Mit der linken Hand ihren Hinterkopf festhaltend, neigte er sich zu ihr und presste den Mund auf ihren.
Sie bog den Kopf zurück und wandte das Gesicht ab, doch Humphrey ließ nicht von ihr ab. Wütend trat sie ihm gegen das Schienbein, und da auch das nichts half, rammte sie ihm das Knie in den Schritt.
Er schrie auf, torkelte ächzend zurück und rang nach Atem.
Im Nu war sie an ihm vorbei, stieß die Tür auf und hastete in die Eingangshalle. “Meinen Mantel, Fisher!”, befahl sie keuchend. Sie ließ sich von dem sie verstört anschauenden Butler in die Pelisse helfen und sagte dann boshaft: “Der Herr des Hauses dürfte eine Weile nicht im Stande sein, sich blicken zu lassen. Ich rate Ihnen, ihn nicht zu stören.”
“Wie Sie meinen, Madam”, erwiderte der Mann verblüfft, hielt ihr die Haustür auf und verbeugte sich höflich, als sie an ihm vorbeiging.
Amanda war den Tränen nahe, während sie durch den Park zum See strebte, um von dort die Abkürzung nach Upper Glaven Hall zu nehmen. Inständig hoffte sie, sich einigermaßen gefangen zu haben, ehe sie daheim eintraf, damit man ihr nicht ansah, wie erschüttert sie war. Als sie den kleinen, den Teich speisenden Fluss erreicht hatte, hockte sie sich ans Ufer, sorgsam darauf achtend, sich den Mantel nicht schmutzig zu machen, und hielt die Hände ins kalte Wasser.
Bedrückt dachte sie daran, dass innerhalb weniger Stunden zwei Männer sie für sich hatten haben wollen, jeder auf eine ganz andere Art und Weise. Mr. Brownsmith hatte ihr gestanden, sie zu begehren, ohne sie jedoch zu belästigen. Humphrey hingegen hatte ihr die Ehe angetragen und war wüst über sie hergefallen. Das würde sie ihm so schnell nicht vergessen. Noch immer taten ihr die Handgelenke von seinem harten Griff weh, und sie hatte das Gefühl, besudelt worden zu sein.
Sie richtete sich auf, nahm das Taschentuch aus der Gürteltasche und trocknete sich die Hände ab. Dann steckte sie es wieder ein, atmete tief durch und setzte den Weg zum Wehr fort. Plötzlich wurde sie sich gewahr, dass jemand sich dort im Gras ausgestreckt hatte und offenbar eingeschlafen war. Verwundert ging sie auf den Mann zu und erkannte beim Näherkommen Mr. Brownsmith.
Er hörte Schritte, öffnete die Lider und richtete sich halb auf den Ellbogen auf. “Oh, mit Ihnen habe ich hier nicht gerechnet, Mrs. Clare”, sagte er überrascht und wollte sich erheben.
“Nein, Sie müssen nicht
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