Zwischen Ehre und Verlangen
sie ihn an. “Wie kommen Sie jetzt darauf?” wunderte sie sich.
“Gestern Abend hat einer von Mr. Clares Gästen Coke’s Clippings erwähnt”, antwortete Jared. “Ich hatte plötzlich den Eindruck, der Name sei mir irgendwie vertraut. Natürlich konnte ich niemanden danach fragen, weil die Herrschaften, die mich für einen reichen Kaufinteressenten halten, sonst sehr befremdet gewesen wären.”
“In Holkham Hall lebt ein gewisser Mr. Coke, der seinen Besitz in jungen Jahren von einem Verwandten geerbt hat”, erklärte Amanda. “Da er nicht viel von Ackerbau und Viehzucht verstand, das Gut jedoch bewirtschaften wollte, hat er vor langer Zeit angefangen, sich anlässlich der Schafschur – nach ihm Coke’s Clippings genannt – von den dazu von ihm eingeladenen Fachleuten gute Ratschläge geben zu lassen. Da er die Empfehlungen stets beherzigt hat, war er sehr erfolgreich, und mit der Zeit wurde diese Versammlung zu einem bedeutenden Ereignis, zu dem Leute, quer durch alle Gesellschaftsschichten und aus vielen Gegenden, sich einfinden. Er führt ein gastfreundliches Haus und hat oft Besucher vom Kontinent, sogar aus Amerika. Aus dem früher so ahnungslosen jungen Mann ist inzwischen ein Experte geworden, dessen Wissen sehr geschätzt wird.”
“Nehmen Sie an dieser Zusammenkunft teil?”
“Ja, in jedem Jahr”, antwortete Amanda. “Ich möchte sie um nichts in der Welt verpassen. Früher bin ich mit meinem Gatten hingefahren, und wir haben in Holkham Hall gewohnt. Seit seinem Tod bleibe ich jedoch nur noch einen Tag dort. Die Versammlung beginnt am nächsten Mittwoch”, fügte sie hinzu. “Würden Sie mich begleiten?”
“Ja, gern”, stimmte Jared zu. “Ich kann mir nicht erklären, warum der Name ‘Coke’s Clippings’ mir so geläufig ist, habe jedoch den Eindruck, dass ich in Holkham Hall herausfinden werde, warum ich hier bin. Wäre es Ihnen recht, wenn ich Sie am kommenden Mittwoch nach Holkham Hall kutschiere?”
“Nein, danke”, lehnte Amanda höflich den Vorschlag ab. “Ich werde wie üblich mit Miss Porter hinfahren. Sollte ich plötzlich mit Ihnen gesehen werden, würde das nur zu Gerede führen. Ich meine jedoch, Sie sollten sich von Mr. Bream ein anderes, stattlicheres Pferd geben lassen, zum Beispiel den jungen Hengst, den er mich nie reiten lässt.”
“Warum nicht?” warf Jared erstaunt ein.
“Das Tier sei nicht für eine Frau geeignet, weil es zu groß, zu kräftig und zu temperamentvoll ist”, antwortete Amanda. “Er will es in diesem Jahr sattelgängig machen und dann vor der nächsten Jagdsaison zu einem guten Preis verkaufen.”
“Hoffen Sie, dass Sie mich, falls er es mir zur Verfügung stellt, dazu überreden können, es unterwegs doch zu reiten?”
“Natürlich habe ich nicht diese Absicht!”, erwiderte Amanda indigniert. “Ich habe lediglich gedacht, es würde Ihnen Spaß machen, den Hengst zu reiten. Allerdings haben Sie mich jetzt auf einen Gedanken gebracht. Ich könnte meinen Sattel mitnehmen und es doch einmal wagen …”
“Nein!”, unterbrach Jared sie rasch. “Ich werde ganz gewiss nicht gegen Mr. Breams Wünsche verstoßen, auf dessen Urteilsvermögen ich mich verlasse.”
“Ach, er ist viel zu besorgt um mich”, entgegnete Amanda missmutig.
“Und nicht zu Unrecht, wie sich heute gezeigt hat”, erwiderte Jared trocken.
“Du meine Güte! Sie tun gerade so, als sei ich von Wüstlingen umringt!”, empörte sie sich. “Gleichviel! Wir treffen uns dann am Mittwoch um acht Uhr an der Kreuzung. Mr. Bream wird Ihnen erklären, wo das ist.”
“Einverstanden! Bis Mittwoch”, sagte Jared, “es sei denn, Sie sind vorher auf meine Hilfe angewiesen. Lassen Sie es mich wissen, falls Mr. Clare Sie erneut belästigt hat. Sie ahnen nicht, wie sehr es mich drängt, das Ihnen gegebene Versprechen zu brechen und Mr. Clare eine Tracht Prügel zu verabreichen.”
Kopfschüttelnd verabschiedete Amanda sich von Mr. Brownsmith und setzte den Heimweg fort.
5. KAPITEL
B eschwingt kehrte Amanda nach Haus zurück. Das unerwartete Wiedersehen mit Mr. Brownsmith hatte sie erfreut und die Unterhaltung mit ihm ihren Ärger auf Humphrey verdrängt. Vor allem der Hinweis darauf, dass “Coke’s Clippings” eine Bewandtnis für ihn zu haben schien, stimmte sie sehr zuversichtlich. Auf dem Weg zum Herrenhaus kam sie am Pavillon vorbei und beschloss, sich dort eine Weile auszuruhen.
Sie setzte sich im Schatten auf eine Marmorbank und gab sich zu bedenken,
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