Zwischen Ehre und Verlangen
störende Ereignisse. Lady Oughton und ihre Tochter reisten in einer Berline, gefolgt vom Landauer, in dem Amanda mit Jane saß, zwei Kutschen mit dem Gepäck und den Bediensteten Ihrer Ladyschaft, dem Viscount, der das Gespann seines Phaetons lenkte, sowie einem berittenen Lakaien, der ein weiteres Pferd am Zügel mitführte.
Natürlich erregte man überall großes Aufsehen, sodass Jane, als man in einer Posthalterei Station machte, belustigt äußerte: “Ich komme mir wie das Mitglied eines Wanderzirkus oder einer fahrenden Schauspieltruppe vor!”
“Wir sind nicht die Einzigen, die mit so vielen Wagen unterwegs sind”, meinte Amanda und zeigte auf eine Reihe von Fahrzeugen, die gerade am Platz der Umspannstelle vorbeirollten, und erstarrte innerlich, weil sie glaubte, Jared gesehen zu haben. Seit der Begegnung mit ihm im Hyde Park wähnte sie ständig, ihn irgendwo zu erblicken, nur um jedes Mal festzustellen, dass sie sich getäuscht hatte. Sie beruhigte sich mit dem Gedanken, sie müsse sich erneut geirrt haben, denn schließlich gab es viele rotbraune Pferde, mit denen sie Jareds Hengst verwechseln konnte.
8. KAPITEL
D ie beiden herrschaftlichen, in der Marine Street stehenden Häuser waren tatsächlich so ansprechend, wie der Makler Lady Oughton versichert hatte. Amanda fand nichts an dem von ihr gemieteten zweistöckigen Gebäude auszusetzen. Vom zur Straße hin gelegenen Großen Salon aus hatte man eine herrliche Aussicht aufs Meer, und es gab genügend elegant eingerichtete Aufenthaltsräume sowie vier Schlafzimmer. Im Preis eingeschlossen waren die Dienste der im Haus wohnenden Wirtschafterin, die zugleich als Köchin fungierte.
Das einzige Ärgernis war Susan Wilkens. In der Aufregung, ihre Aufgaben möglichst perfekt zu erledigen, machte sie viele Fehler. Wurde sie auf ein Versehen hingewiesen, brach sie in Tränen aus und äußerte schluchzend, sie befürchte, entlassen zu werden. Mehr und mehr griff Amanda daher auf die Dienste von Maria, der Nichte der Wirtschafterin, zurück.
Am Vormittag nach der Ankunft in Brighton machte sie, von Maria begleitet, Lady Oughton die Aufwartung, um sich zu erkundigen, ob die Damen mit ihr spazieren gehen wollten oder ob sie etwas für sie erledigen könne. Zu ihrem Erstaunen erfuhr sie, dass die Herrschaften noch nicht aufgestanden waren. Sie beschloss, zuerst zum königlichen Pavillon zu gehen.
“Oh fein!”, rief Maria entzückt aus. “Ich habe schon viel darüber gehört.”
Es dauerte einige Zeit, bis man die Residenz des Prinzregenten erreichte, da man unterwegs durch viele sehenswürdige Dinge abgelenkt wurde, darunter die Badewagen und die interessanten Auslagen der Geschäfte. Amanda stellte fest, dass die Passanten, vor allem die weiblichen, sie mit anerkennendem Blick musterten, und führte das auf ihr hübsches neues Tageskleid zurück.
Der königliche Pavillon war wirklich erstaunlich, und nachdem man ihn gebührend bewundert hatte, entdeckte Amanda plötzlich ein Tor, das zu den Gartenanlagen führte. Da sich bereits etliche Schaulustige hinter dem schmiedeeisernen Zaun befanden, gesellte sie sich mit Maria zu ihnen, schlenderte gemächlich durch den ausgedehnten Park und sah unvermittelt Jared auf sich zukommen.
Verblüfft blieb er vor ihr stehen, zog grüßend den Hut und äußerte erstaunt: “Guten Tag, Mrs. Clare. Welch unerwartete Überraschung!”
“Guten Tag, Mylord”, erwiderte Amanda kühl und warf einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass ihre Zofe in der Nähe war.
“Kann es sein, Madam, dass Sie mich verfolgen?” fragte Jared belustigt.
“Wie bitte?” Entgeistert sah sie ihn an. “Wie kommen Sie auf diesen absurden Einfall?”
Verärgert über diese Bemerkung, sagte Jared ungehalten: “Dann wüsste ich gern, was Sie in Brighton machen!”
Er hatte ungemein erbost geklungen. Amanda kam der Gedanke, dass er offenbar annahm, sie sei eifersüchtig auf Miss Poste und ihm daher hinterhergereist, um ihn wieder für sich zu gewinnen. “Ich habe zwar nicht den geringsten Anlass, Sir, Ihnen eine Erklärung für meine Anwesenheit zu geben”, entgegnete sie scharf, “muss aber auch kein Geheimnis aus dem Grund machen. Was glauben Sie, weshalb man sich in dieser Stadt aufhält? Ich verbringe einige Tage der Muße hier, und es stört mich nicht im Geringsten, dass Ihnen das nicht genehm zu sein scheint!”
“Wie haben Sie in der Kürze der Zeit eine Unterkunft bekommen?” wunderte sich Jared. “Sie
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