Zwischen Ewig und Jetzt
Fehlern gelernt.«
»Nun, in Berlin war das wohl anders.« Meine Stimme bekommt einen scharfen Unterton.
»In Berlin war ich betrunken. Und es hatte nichts zu bedeuten, verdammt nochmal. Sie hat mich überrascht: Wie oft muss ich dir das eigentlich noch erzählen?« Seine Augen blitzen.
Wir starren uns an. Und sehen beide zur gleichen Zeit weg, als uns klar wird, dass es keine Bedeutung mehr hat. Haben kann.
»Ist ja auch egal«, sagt Felix schließlich.
Ich sage nichts dazu.
»Wollen wir jetzt weitermachen?«
»Du musst nicht. Du musst mir nicht helfen, wenn du noch etwas anderes …«
»Nein, nein. Wir machen das jetzt fertig.« Er sieht mich an, und eine klitzekleine Welle von Sehnsucht überspült mich. Ich meine: Es ist noch nicht lange her, nicht wahr? Ich bin nicht gemein, kein Luder oder Flittchen, nur weil es noch nicht lange her ist, oder?
»Ich wünschte«, sagt Felix schließlich, »ich wünschte, du hättest nicht mit Niki … ich meine, ich wünschte du hättest gewartet.«
Und zum dritten Mal an diesem Abend bleibe ich ihm eine Antwort schuldig.
»Hier, hier ist endlich mal etwas«, sagt Felix einige Zeit später.
Ich habe gerade einen Haufen Rechnungen (für Windeln!) abgeheftet und komme zu ihm rüber. »Wo denn?« Man kann immerhin schon wieder einen Fuß vor den anderen setzen.
»Da. Das hier.« Felix zeigt auf einen Brief.
»Der ist von meinem Vater, glaube ich. Doch, ja, er ist es, ich erkenne die Handschrift. Und es geht um mich.« Hastig überfliege ich den Brief. Julia, kann es nicht länger verantworten, wenn sie erst älter ist, blablabla, muss versorgt werden. Nichts Konkretes.
»Und deshalb habe ich …«,
lese ich vor. Das ist der letzte Satz. »Was denn? Was hat er?«
Felix blättert um, doch da ist nichts. »Es muss noch eine zweite Seite geben. Aber wo?«
Wir suchen Seite für Seite ab, und endlich, auf der vorletzen, geht es mit dem Brief weiter.
Jetzt liest Felix vor:
»… einen Anwalt beauftragt, alles in diesem Sinne zu regeln. Du hast mir ja lang genug in den Ohren gelegen, das zu tun. Es ist ein alter Freund von mir aus München, Andreas Wahre, du erinnerst dich noch? Du hast ihn immer den wahren Anwalt genannt.«
Felix sieht hoch. »Das darf doch nicht wahr sein! Der wahre Anwalt: Er hatte recht!«
»Wer hatte recht?«
»Niki. Mit dem, was er dir ausgerichtet hat.«
»Das erstaunt dich doch nicht wirklich?«
Felix verzieht das Gesicht. »Nur die zwanzig Prozent vernünftiger Felix, die das Ganze für eine raffinierte Julia-Eroberungsmasche halten wollten und die jetzt tödlich getroffen zu Boden sinken.«
»Lies weiter.« Ich knie neben ihm, kann mitlesen, doch ich will es hören. Will hören, dass wir es endlich geschafft haben.
»Wo waren wir? Ach ja:
Du hast ihn immer den wahren Anwalt genannt. Falls mir etwas passieren sollte, hat Andreas alles, was nötig ist: Selbst einen Vaterschaftstest habe ich machen lassen. Nur vorsichtshalber. Ich weiß, ich hätte das alles schon viel früher ins Reine bringen müssen. Jetzt muss ich erst einmal mit Justin reden. Und mit Renate.
«
»Das war Justins Mutter«, unterbreche ich.
»Dachte ich mir«, sagt Felix. »So. Viel mehr kommt auch nicht. Nur, dass er deinem Opa gute Besserung wünscht und einen was? Einen Topfenstrudel für ihn hat.«
Ich muss lächeln. »Das ist eine typisch österreichische Speise, und mein Opa hat die geliebt.«
»Und dein Vater dich«, sagt Felix und sieht mich an.
»Ja«, sage ich erschöpft.
Felix legt seinen Arm um mich.
Ich denke nach. Nein, ausnahmsweise einmal nicht über Niki oder Felix. Ich denke an ihn, meinen Vater. Wie er mir immer vorgelesen hat. Mich wachgekitzelt. Wie er jedes Mal mit einem Geschenk wieder auftauchte und wie stolz er war, wenn ich aus der Schule ausnahmsweise einmal gute Noten nach Hause brachte. Andreas Wahre. Nein. Es fällt mir nichts Konkretes ein: Denke nicht, dass ich ihn kenne. Ich muss unbedingt meine Mutter nach ihm fragen.
Felix und ich sitzen noch eine Weile einfach so da. Es ist einfach schön, es nur zu wissen. Dass das Rätsel gelöst wurde. Und das ohne Hilfe irgendwelcher fremder Mächte: Auch das hat etwas Beruhigendes. Irgendwann raffen wir uns dann auf und suchen übers Internet die Nummer der Anwaltskanzlei Fritsch, Glücksam & Wahre in München heraus. Natürlich ist niemand mehr im Büro, habe ich auch nicht anders erwartet, aber gleich morgen werde ich noch einmal anrufen, notfalls eben Montag. Und endlich wieder
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