Zwischen Ewig und Jetzt
ich selbst sein.
Felix geht so gegen zehn Uhr, und ich bin beinah dankbar dafür, so müde bin ich. Dafür, dass er mir geholfen hat, die Sachen von Opa durchzusehen, natürlich sowieso.
Niki hat nicht angerufen. Ich hab auch mehrmals meine Mails gecheckt, aber da war nichts.
»Morgen kannst du ausschlafen«, sagt Felix, während er sich die Jacke überzieht.
»Ja, allerdings.« Ich unterdrücke ein Gähnen und nehme mir vor, trotzdem noch Niki anzurufen, wenn er es schon nicht tut. Obwohl ich es ja nicht bin, die sich entschuldigen muss. Er allerdings wohl auch nicht. In Gedanken versunken begleite ich Felix zur Tür. »Danke, noch mal.«
Felix beugt sich vor, haucht mir einen Kuss auf die Wange. »Das habe ich gern gemacht«, sagt er und macht die Tür auf. Und zuckt zurück: »Warte mal: Da ist jemand.«
Das Licht aus unserer Wohnung fällt auf eine dunkle, zusammengesunkene Gestalt auf dem Treppenabsatz. Eine Gestalt in Jeans, mit Lederjacke, dunklem Kapuzenpulli …
»Niki«, rufe ich, stürze an Felix vorbei. Knie mich neben ihn und streiche ihm die Haare aus dem Gesicht. »Niki, oh nein. Er ist bewusstlos.«
Felix kommt langsam näher, bleibt stehen. »Ist er nicht«, sagt er. »Ich denke, er ist betrunken«, und er zeigt auf eine leere Flasche, die neben der Tür zu unseren Nachbarn liegt.
Jetzt kann ich es auch riechen, diesen Alkoholgeruch im Treppenhaus: »O Niki.« Ich streiche ihm über die Wange. Sehe hoch. »Was machen wir denn jetzt?«
Felix sieht erst nicht so aus, als ob er überhaupt etwas machen wolle. Dann seufzt er einmal tief. »Wir bringen ihn am besten rein«, sagt er.
Und das tun wir dann auch. Schleppen den betrunkenen Niki in die Wohnung, ins Wohnzimmer und da auf die Couch, die inzwischen ja leergeräumt ist.
»Und jetzt?« Ich bin völlig ratlos.
»Jetzt machst du am besten noch mal diesen scheußlichen Kaffee, den du mir gekocht hast«, sagt Felix, der seine Jacke wieder ablegt. »Und ich ziehe ihn aus.«
»Du ziehst ihn aus?«
»Allerdings. Er sollte jetzt erst einmal duschen.« Felix grinst schief, als er das sagt, und mir kommen Zweifel, ob man das wirklich so macht mit Betrunkenen.
Da mir jedoch nichts anderes dazu einfällt, stürze ich in die Küche. Als ich zurückkomme, ist Niki nur noch mit T-Shirt und Unterhose bekleidet und hat die Augen halb offen.
»Ansprechbar ist er so einigermaßen. Also los: Hilf mir mal, Julia.«
Gemeinsam schleppen wir Niki, der wenigstens ein bisschen mitläuft, in Richtung Badezimmer. Es ist nicht gerade leicht, ihn in die Wanne zu verfrachten, und kaum sitzt er, rutscht er tief nach unten. Das ändert sich, als Felix das Wasser anstellt und einen kalten und kräftigen Strahl auf ihn richtet.
Niki ist mit einem Schlag wach, kommt aber nicht hoch. »Verdammt«, schreit er und wendet den Kopf ab. »Was soll das? Scheiße, hör auf damit.« Er will nach der Dusche schlagen, doch Felix grinst nur, tritt einfach einen Schritt zurück und hält den Wasserstrahl weiter auf ihn.
Niki gibt auf, bleibt stocksteif sitzen und wischt sich nur das Wasser aus dem Gesicht.
»Ist gut jetzt«, befehle ich. »Felix! Es reicht!«
Mit sichtlichem Bedauern stellt Felix das Wasser ab.
Ich nehme ein großes Handtuch und wickele den zitternden Niki darin ein. »Kannst du aufstehen? Vorsicht, das ist glatt. Zieh das nasse T-Shirt aus. Ja, so ist es gut.«
»Mir ist schlecht«, sagt Niki.
»Was?« Ich erstarre.
»Schon gut«, sagt Felix, der sich auf den Wannenrand gesetzt hat. »Hol du den Kaffee: Ich pass schon auf, dass er nicht an seiner eigenen Kotze erstickt.«
Ich verlasse mich jetzt mal darauf und mache, dass ich wegkomme. Warte im Wohnzimmer, bis eine Ewigkeit später Niki und Felix wieder auftauchen.
Niki hat das Handtuch um. Er ist wachsbleich, setzt sich in den Sessel und schließt die Augen. Felix nimmt das Sofa. Ich hole noch eine Decke, die ich um Niki wickele. »Und?«, will ich von Felix wissen.
»Er kann schon reden, wenn er will«, erwidert der. »Und so einigermaßen klar ist er auch wieder.«
Niki hört das entweder nicht, oder er will noch nichts sagen. Ich knie neben ihm, streichele sein bleiches Gesicht. Ich bin ganz krank vor Sorge. Es dauert, bis Nikis Augenlider anfangen zu flimmern, bis er endlich die Augen aufmacht. Er sieht mich an, sagt dann: »Ich wollte es nicht. Ich wollte sie nicht rufen.« Er verschleift die Worte zwar, ist aber zu verstehen.
»Von wem redet er?«, will Felix wissen.
»Den Toten. Den
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