Zwischen Ewig und Jetzt
paar Toasts, kochen Kaffee. Meine Mutter hört nicht auf, mir von all den Sachen zu erzählen, die sie noch weiß. Von Opa, von Papa … selbst von Andreas Wahre, den sie kennt. Einmal kennengelernt hat: Papa, Mama und er waren zusammen essen und anschließend im Spielcasino. Sie hätten alle drei ein Vermögen verloren, erinnert sie sich. Dass sie keine Ahnung gehabt habe, warum er vorbeigekommen sei. Dass mein Vater ihr nichts von dem neuen Testament erzählt habe. Es ist schön. So haben wir ewig nicht mehr miteinander geredet.
Als Klaus anruft und sie zur Ausstellung im Museum abholen will, sagt sie ab. Wir sprechen über ihn. Dass sie ihn mag. Dass sie vor allem nicht mehr allein sein will. Das war sie streng genommen immer, auch als mein Vater noch lebte. Klaus ist wenigstens für sie da, und nur für sie. Ich weiß nicht, wie ihr das genügen kann, aber das sage ich nicht. Will den gemeinsamen Augenblick mit ihr nicht verderben.
Als Niki anruft, gehe ich mit meinem Handy aus dem Zimmer. »Wie geht es dir?«, frage ich.
»Ging schon mal besser.« Seine Stimme klingt belegt. »Hör mal, Julia, wegen gestern …«
»Schon gut«, unterbreche ich ihn. »Wir müssen reden. Aber nicht jetzt.« Ich erzähle ihm kurz von den Büchern, die ich mit meiner Mutter durchsehe. Von dem Anwalt. Dem Testament. Und dass ich jetzt ein wenig Zeit für mich bräuchte, um das zu regeln.
»Mmh«, macht Niki.
Es hört sich an wie eine Ausrede, ich weiß. Und vielleicht ist es das auch: Wer hätte denn keine Angst nach fliegenden Büchern, kaputten Autos und Wesen, die im Dunkeln lauern! Niki, der tote Niki, der damals im Keller bei Alice vor mir stand, kommt mir wieder in den Sinn. Mit weißen Augen, wie ein Zombie.
»Ich brauche ein bisschen Zeit«, wiederhole ich schaudernd.
Als ich wieder zurück ins Wohnzimmer komme, legt meine Mutter auch gerade den Hörer hin. »Das war einer der Anwälte aus der Kanzlei in München. Andreas hat tatsächlich mit deinem Vater gesprochen und in seinem Namen ein neues Testament aufgesetzt, soviel konnte man mir schon sagen.« Sie schweigt, fährt sich abwesend durch die Haare. Dann räuspert sie sich. »Andreas arbeitet zurzeit in Hongkong. Sein Kollege ruft ihn an und informiert ihn. Er wird sich bei uns melden.«
Ich kann sehen, dass ihre Augen gerötet sind.
»Die Unterlagen schickt die Kanzlei sofort. Es ist vorbei, Julia, es ist endlich vorbei.«
Wir umarmen uns: Auch etwas, das wir seit Ewigkeiten nicht mehr getan haben. Und können in diesem Moment nicht ahnen, dass nichts vorbei ist, sondern im Gegenteil, gerade erst angefangen hat.
»Was für ein Auto fährt eigentlich dein Stiefbruder?«, fragt Niki, als wir die Heckenauffahrt zur Schule hochgehen.
»Ein schwarzes Mercedes-Coupé, warum?«
»Nur so.«
Wir sind vorsichtig miteinander. Wie damals mit Felix umschiffen wir jede Klippe. Die sichtbaren und die unter der Oberfläche. Das Thema Tod meiden wir wie der Teufel das Weihwasser.
»Habt ihr die Unterlagen aus München schon bekommen?« Niki hält mir die Schultür auf.
»Noch nicht.« Wir tauchen ein in die lärmende Schülermenge, und ich muss lauter sprechen. »Anscheinend musste der Anwalt aus Hongkong, dieser Andreas Wahre, erst seine Kanzlei anweisen. Aber jetzt ist alles klar und sie schicken uns die Unterlagen zu. Nächste Woche haben wir einen Termin bei unserem Anwalt.«
»Und dann ist es endlich vorbei.«
»Ja, ist es.« Obwohl ich mich frage, was vorbei sein soll. Mein neues Leben? Julia, die Zweite? Oder ist es nicht vielmehr so, dass ich inzwischen gar nicht mehr anders bin? Anders sein will?
Gemeinsam gehen Niki und ich zum Klassenzimmer, er gibt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange: das Einzige, was wir uns im Moment erlauben. Ich setze mich neben Miriam.
Felix grüßt mich, und in seinem Gefolge wechseln auch Maximilian und Fred ein paar notdürftige Worte mit mir. Von Anni, die gleich hinter ihnen die Klasse betritt, kommt natürlich nichts. Und von Konrad auch nicht, was nervig ist, weil er in den Englischarbeitsgruppen immer noch neben mir sitzt. Als ich Mrs Henschel bitte, mir einen anderen Partner zu geben, reicht es ihr endgültig. Wir würden hier nicht die Reise nach Jerusalem spielen, und ich müsste mich nun mal mit Konrad abfinden. Die hat leicht reden!
Ich bin froh, als ich die unangenehme Englischstunde hinter mir habe und es endlich, endlich klingelt. In Windeseile habe ich meine Tasche gepackt und Niki ein
warte
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