Zwischen Ewig und Jetzt
draußen
gestikuliert: Er muss Mrs Henschel den Laptopwagen zum Rechnerraum zurückrollen.
Das hat man davon, wenn man ein Englisch-Streber ist!
Es ist ein wunderschöner Tag und die Sonne scheint. Ich trete nur ein paar Schritte aus der Schule und fühle mich schon besser. Genussvoll schließe ich für einen kurzen Augenblick die Augen und atme tief durch.
»So schlimm?«, fragt eine Stimme neben mir.
Ich blinzele.
Es ist Erik.
Sofort weiche ich einen Schritt vor ihm zurück. »Noch schlimmer«, antworte ich. Vor allem, nachdem auch noch er hier aufgetaucht ist. Mein Herz fängt an zu klopfen: Mir ist unsere letzte Begegnung noch allzu gut in Erinnerung. Und damit auch seine letzte Bemerkung.
Erik lacht. Komisch, dass ich dieses Lachen einmal sympathisch fand. »Ja, das ist es. Ich kann mich noch gut an meine Schulzeit erinnern.«
»Ach ja?«, erwidere ich, während ich mich gleichzeitig umsehe. Ist ja nicht so, als wären wir hier allein: Um uns herum sind eine Menge Schüler, Lehrer auch. Er kann mir nichts tun, falls er das vorhat. Aber will er das überhaupt? Oder, anders gefragt:
Was
will er überhaupt von mir?
»Eine Ewigkeit«, erwidert Erik gut gelaunt. »Meine Schulzeit ist zwar eine Ewigkeit her. Aber so ein alter Sack, dass ich mir das hier im Nachhinein schönrede, so einer bin ich dann auch nicht.«
Wie alt ist er eigentlich?
»Und frag jetzt nicht nach meinem Alter«, grinst Erik. »Ab zwanzig greift die Schweigepflicht.«
Er muss ungefähr im Alter von Justin sein, oder? Vielleicht etwas älter. Justin und Erik. Erik und Justin. Schon wieder.
»Und meine liebe Schwester? Kommt sie denn auch mal oder hat sie sich unterwegs verlaufen?«
»Anni? Keine Ahnung.«
»Nein. Wie solltest du auch.« Jetzt wird sein Tonfall schon anders. Schärfer, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil er immer noch lächelt. Er kommt einen Schritt auf mich zu und beugt sich verschwörerisch zu mir. »Wahrscheinlich will sie sich noch bei einem eurer Lehrer einschleimen. Hatte sie einen Apfel in der Hand?«
»Einen Apfel?«
»Ja. Zu unseren Zeiten, also vor der Sintflut, konnte man Lehrer noch mit einem Apfel bestechen.«
»Nein, keinen Apfel«, sage ich. »Heutzutage geht das höchstens noch mit einem
Apple
. Die Preise sind eben gestiegen.« Wie geistreich. Ich frage mich immer noch, was Erik von mir will oder wie ich diesem unangenehmen Gespräch entkomme, als ich Nikis Stimme hinter mir höre.
»Julia«, sagt er.
Ich fahre herum, erleichtert. »Niki, das hier ist Erik, Annis Bruder. Ich hab dir ja schon erzählt …« Ich breche ab, beiße mir auf die Lippe. Allerdings habe ich Niki von der Begegnung mit Erik erzählt und auch von dem, was er gesagt hat:
Wie ist es eigentlich, mit den Toten zu schlafen?
Da ich Nikis aufbrausendes Temperament kenne und er sich auf gar keinen Fall noch eine Abmahnung leisten kann, greife ich unwillkürlich nach seiner Hand.
Und das ist ein Fehler.
Aus dem Nichts heraus stehe ich auf der dunklen Lichtung mit dem verunglückten Auto, gelähmt vor Angst. Ich kann nichts mehr richtig erkennen: Weder andere Schüler noch Niki, dafür sehe ich Erik. Erik, der hinter dem Wagen hervorkommt und lächelt. Seine Augen, die Zähne sind dunkel, wie bei einem Negativ, während seine Gesichtshaut unnatürlich strahlt. Und das ist nicht alles: Seine Hände haben sich in Klauen verwandelt und diese dunklen Zähne gleichen eher dem Gebiss eines Hundes oder Wolfes.
»Soso«, sagt das glühende Wesen, das einmal Erik war. »Dein Freund also. Von dem habe ich schon viel gehört.« Er sagt es langsam, leiernd.
Das Auto flackert wie in einem kaputten Film. Ich löse meinen Blick von dem Wolfswesen und beobachte stattdessen die Autotür. Wenn sie sich öffnet, werde ich schreien und nie wieder damit aufhören.
»Lass sie in Ruhe«, sagt eine Stimme hinter mir,
über
mir, die ich nicht kenne und die überhaupt nicht nach Niki klingt. Sie ist nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
»Lass Julia in Ruhe.«
Das
war Niki, eindeutig. Niki, der immer noch hinter mir steht und meine Hand loslässt.
Das Flackern ist weg, die Stimme. Ich kann mich nicht rühren, nicht denken.
»Ich und deine Freundin: Wir unterhalten uns nur.«
»Dann ist die Unterhaltung jetzt zu Ende.«
Ich spüre die Schwere von Nikis Lederjacke auf meinen Schultern. Kriege einigermaßen mit, wie er mir den Arm um die Schulter legt und mich wegschiebt, höre Eriks spöttische Stimme, die uns nachruft: »Man
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