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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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sieht sich.« Spüre förmlich Nikis Wut.
    Wir reden solange nicht, bis wir um die Ecke und außer Sicht sind. Dann bleibt Niki stehen, sieht mir ins Gesicht. »Alles klar, Julia? Julia!«
    Ich sehe zu ihm hoch wie betäubt. Meine Stimme ist nicht mehr als ein heiseres Röcheln. »Wa... was war das?«
    »Sag du es mir.« Nikis Blick ist besorgt.
    »Da war das Auto und das Wesen, das glühte …« Ich kann nicht weitersprechen. Niki hebt die Hand, um mir die Wange zu streicheln. »Nein«, schreie ich und mache einen Schritt rückwärts. »Nicht anfassen.«
    Niki sieht mich nur an. Lässt die Hand sinken.
    »Bitte, bitte nicht anfassen«, stöhne ich.
    Wir stehen uns gegenüber, ich zitternd, Niki schwer atmend. Die anderen Schüler machen einen Bogen um uns, sehen uns neugierig an.
    »Ich werde dich nicht anfassen«, sagt er langsam und deutlich, »aber wir müssen hier weg. Wir gehen jetzt zu mir, okay?«
    Ich weiß nicht. Weiß nicht, was ich jetzt tun soll.
    »Ich rühre dich nicht an, versprochen. Kannst du dich bewegen?«
    Ich nicke, gehe schweigend neben ihm her. Nach einer Weile wird es besser. Etwas.
    Ich bin froh, dass Herr Galanis mich so nicht erlebt, denn der Weg ist frei. Selbst Sherlock ist nirgends zu sehen.
    In Nikis Zimmer setze ich mich aufs Bett. Ich bin so erschöpft, dass ich mich am liebsten hinlegen würde, wage es aber nicht. Ich will meine Augen nicht schließen. Auf gar keinen Fall.
    Niki hält sich fern von mir, wie er es versprochen hat. »Soll ich dir was zu trinken besorgen? Wasser? Tee? Kaffee?«
    »Wasser wäre schön.« Ich warte, bis er zurück ist. Starre nur vor mich hin und denke nichts. Kann an gar nichts denken.
    Niki stellt das Glas vor mich, zieht sich dann aber zurück auf den Schreibtischstuhl, wofür ich ihm dankbar bin.
    »Julia, bitte, kannst du mir sagen, was da los war?«
    Ich trinke, umklammere das Glas dann mit beiden Händen. »Hast du … hast du denn nichts gespürt?«
    Niki runzelt die Stirn. »Gespürt? Nein. Nur gehört.«
    Es ist jetzt wahrscheinlich an der Zeit, ihm von meinen Visionen zu erzählen. Dass er anderen Menschen Angst machen kann, weiß er spätestens seit der Sache vor der Schule. Was das für Visionen sind, die er (oder irgendetwas in ihm) heraufbeschwört, das ist ihm höchstwahrscheinlich nicht klar. Also zwinge ich mich dazu. Zwinge mich, ihm zu beschreiben, was ich sehe. Das Auto, das Gesicht an der Scheibe. Und heute dazu noch dieses Wolfswesen, das hinter Erik zum Vorschein gekommen ist …
    Niki ist fassungslos. Instinktiv erhebt er sich, um zu mir herüberzukommen, doch ich richte mich steil auf und strecke den Arm aus. »Nein, bleib da. Bitte.« 
    Niki lässt sich wieder auf den Stuhl fallen, reibt sich die Stirn. »Aber ich war das nicht. Ehrlich nicht. Ich habe mit niemandem gesprochen außer mit diesem Widerling, diesem Erik.«
    »Aber gehört. Du hast etwas gehört.« Und ich hatte es auch. In dem Augenblick, als ich Nikis Hand genommen hatte.
    Niki zögert. »Da ist jemand … Nun, ich wollte dir das eigentlich nicht sagen, aber da ist ein Typ an mir dran …«
    »Ein Typ? Reden wir hier von einem
toten
Typen?«
    »Ja. So könnte man es nennen.« Niki lächelt schwach. »Also dieser Typ, Tom …«
    Ich stöhne.
    »Lass mich ausreden. Tom ist ganz in Ordnung. Wirklich. Ihm war einfach langweilig.«
    Ich weiß nicht, ob ich lachen soll oder lieber weinen. Aber das ist auch unwichtig, denn Niki lässt mir gar keine Chance zu reagieren. »Also, dieser Tom war in unserem Alter, nur ein wenig älter. Ein echt cooler Typ. Ist mit seinem Motorrad verunglückt und wartet jetzt auf seine Beisetzung. Ich hab’ ihn mit zur Schule genommen, weil er mich darum gebeten hat: Er hängt halt noch am Leben. Und ihm war, wie gesagt, langweilig.«
    Wartet auf die Beisetzung? Langweilig? O Mann. Ich schließe kurz die Augen. Mache sie wieder auf. »Also hast du irgendwas von ihm, irgendein Körperteil …«
    Niki greift in die Tasche seiner Lederjacke, die Jacke, die er
mir
umgehängt hat, und fördert ein kleines, mit Tesafilm umwickeltes Büschel zum Vorschein.
    »Sind das seine Haare?« So langsam kann mich nichts mehr erschüttern.
    »Eine Locke. Ja.« Niki legt die Locke vor sich auf den Schreibtisch. »Als wir aus der Schule kamen, läuteten bei Tom gleich alle Alarmglocken. Er hat gesagt: ›Der da drüben ist böse.‹ Mehr nicht.«
    »Ist böse? Was soll denn bitteschön ›böse‹ heißen?«
    »Böse halt. Ich bin zu dir rüber, und

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