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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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seufzt.
    »Was ist wer?«, frage ich, dann werde ich stocksteif. Es dämmert mir, dass er nicht mit mir gesprochen hat. Niki sieht aus, als sei er tief in Gedanken versunken, dann lächelt er, und mir läuft es eiskalt den Rücken herunter: Er lauscht auf etwas. O mein Gott, er tut es wirklich!
    Die Luft ist jetzt wahrhaftig schlimm. Und außerdem habe ich einen merkwürdigen Druck auf den Ohren. Trotzdem wage ich mich so lange nicht zu rühren, bis er nickt. Dann blickt er auf und mir in die Augen. Er zieht sich die Mütze vom Kopf. »Also, dein Opa sagt, dass er sich freut, dass du hier bist. Und er sagt, du sollst nicht so erschreckt gucken. Du seist schließlich … was? Ach so, ein standhafter Zinnsoldat.«
    Harte Geschütze, und das schon am Anfang. Mein Magen will sich umdrehen, mir wird schlecht. Der standhafte Zinnsoldat, das haben wir zusammen auf Platte gehört, als ich sechs oder sieben war. Ich hatte Albträume danach.
    »Und bitte keine Albträume«, fährt Niki fort.
    Das kann er nicht wissen. Das kann er einfach nicht. Kein Mensch weiß das, außer … außer meinem Opa. »Opa?«, flüstere ich. Tränen schießen mir in die Augen, die ich wegblinzele.
    »Es ist schön, dich zu sehen. Ja, das haben Sie schon erwähnt.« Niki grinst. »Jetzt sagt er, ich soll mich nicht benehmen wie ein Klugscheißer. Okay, sorry.«
    Das kann nicht, kann nicht sein. Ich habe noch eine Trumpfkarte. Etwas, das Niki nicht weiß: Mein Opa konnte gar nicht mehr reden. Mein Opa wusste in seinen letzten Monaten nicht einmal mehr, wer er selbst war. Das Gehirn meines Opas muss mehr Löcher gehabt haben als ein Schweizer Käse.
    »Es ist wie im Nebel«, sagt Niki jetzt. »Ich soll dir sagen, es ist, als würde man immer tiefer im Weiß verschwinden. Ich soll dir sagen, dass er froh ist, dass es aufgehört hat. Er ist jetzt raus aus dem Nebel, soll ich dir sagen.« Niki, der mit der Mütze in seinen Händen spielt, sieht hoch. »War dein Opa krank oder so?«
    So viel zu meiner Trumpfkarte. Ich kann nichts anderes tun als nicken. Tränen laufen mir die Wangen runter.
    »Mmh, jetzt sagt er was Merkwürdiges, aber ich muss es ja auch nicht verstehen, ich gebe es nur weiter. Er sagt, es sei wichtig, du sollst gut aufpassen. Es sei wirklich von Bedeutung und so …« Niki sieht hoch, ohne etwas Bestimmtes zu fixieren. »Ich glaube, es ist ihr ausreichend klar geworden. Nein, bin ich nicht, ich wollte nur sagen … schon gut, schon gut.« Er räuspert sich. »Also, es ist wichtig. Der Unfall, irgendetwas stimmt da nicht. Und es gibt ein anderes Testament, er weiß davon. Ein neueres. Er weiß nicht genau, wo es ist, aber es ist …« Niki lauscht angestrengt. »Beim Anwalt. Nein, warte, er korrigiert sich, beim richtigen Anwalt. Nein, er korrigiert sich noch mal, beim echten Anwalt. Also was denn nun?« Wieder eine kurze Pause. »Beim wahren Anwalt. Das soll ich dir sagen. Und dass es ihm so leidtue, dass er dich belogen hat. Er wollte Teil haben an deinem Leben, und er musste es versprechen. Seinem Sohn versprechen, um dich zu sehen. Dann sagt er noch, dass er dich liebt. Und … nein, das sage ich ihr nicht.«
    »Was?«, flüstere ich. Ich habe die ganze Zeit über an seinen Lippen gehangen.
    »Das glaubt sie mir sowieso nicht.« Niki lächelt. Er schüttelt den Kopf.
    »Was denn nun?«, will ich wissen.
    »Jetzt sagt er noch, dass es ihm gutgeht, wirklich gutgeht. Und dass er immer auf dich achten wird, soweit es möglich ist. Und dass er dich liebt.«
    Kommt mir so vor, als hätte Niki was ausgelassen, aber das kann ich natürlich nur schwer überprüfen.
    »Du sollst das Testament suchen, unbedingt. Er weiß nämlich auch nicht, was ein ›wahrer Anwalt‹ ist: Sein Sohn hat sich so ausgedrückt. Und, ja, jetzt weiß sie es aber wirklich.« Niki sieht hoch und mir in die Augen. »Ich liebe dich«, sagt er.
    »Ich liebe dich auch«, erwidere ich, während mir Tränen die Wangen herunterlaufen. »Ich dich auch.«

3 . Kapitel
    E s ist schon erstaunlich, wie wenig man mit Toten spricht, wenn man schon einmal die Gelegenheit dazu hat. Keine philosophischen Diskussionen, keine Frage nach Gott, Engel, Teufel, nach Schmerzen oder wie es ist zu sterben. Nicht mal nach dem verdammten Licht habe ich gefragt, in das man ja schnurstracks reinmarschieren soll, wenn man tot ist. Nichts. Mein Opa hat mir gesagt, dass er mich liebt, und ich konnte ihm sagen, dass ich ihn liebe, und das war schon so viel mehr als erwartet, dass mir nichts

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