Zwischen Ewig und Jetzt
starten können, starren wie gebannt auf die Nulllinie des Monitors.
»Du meinst wegen Opa?«
»Na, wegen dem da ganz bestimmt nicht«, deute ich auf den Bildschirm.
»Eigentlich nicht«, sagt meine Mutter.
Der geschockte Patient bekommt sein Piepen zurück. Die Modelärzte und Schwestern lachen erleichtert. Der überaus gutaussehende Arzt küsst eine der gutaussehenden Frauen im weißen Kittel. Ich bin erstaunt darüber, wie schnell der seinen Mundschutz abgekriegt hat. Und ihren gleich mit.
»Dass du dir sowas anguckst«, stöhne ich.
»Er sieht einfach zu süß aus«, sagt meine Mutter.
»Wer?«
»Patrick.«
»Ist das der da, der die Schwester geküsst hat?«
»Ja. Und sie ist keine Schwester, sondern Chirurgin.«
»Naja, ich gehe mal davon aus, sie ist Schauspielerin.« Ich nehme mir wieder mein Buch vor. »Also kein Leben nach dem Tod.«
»Er ist nicht tot.« Meine Mutter zeigt auf den Bildschirm. »Sie haben ihn wiederbelebt.«
»Mama!«
»Du meinst Opa.« Sie seufzt. »Ich denke«, sagt sie, ohne den Blick vom süßen Schauspielerarzt zu nehmen, »dass er es da, wo er jetzt ist, besser hat. So wie dein Vater auch.«
Darüber will ich nicht reden. Auf keinen Fall. Aber es kommt mit auf meine Liste von Fragen, die ich meinem Opa morgen stellen will. Morgen ist Donnerstag. Und ich habe noch eine Menge abzurechnen.
Am nächsten Morgen sitze ich auf meinem Platz neben Miriam, als Niki in die Klasse kommt, wie immer als Letzter, wie immer fast zu spät. Natürlich habe ich mir schon überlegt, wie ich mich ihm gegenüber verhalte – so wie gestern sowieso der Tag der vielen Überlegungen war. Natürlich grüße ich ihn. Natürlich. Und dann kommt er an meinem Tisch vorbei und ich öffne erst den Mund, aber sehe dann weg, ganz automatisch, ohne nachzudenken. Und verachte mich im selben Augenblick dafür.
Als ich wieder hochschaue, begegnet mir Nikis Blick. Und der spricht Bände.
Ich habe eine ganze Schulstunde, um mich dafür zu hassen. Mich zu fragen, was eigentlich mit mir los ist. Die Zeit kriecht im Schneckentempo, dann, endlich, in der kleinen Pause, halte ich es nicht mehr länger aus. Unter den Blicken der anderen gehe ich rüber zu Niki und lasse mich auf den freien Platz fallen. Als müsste ich mich aus der Schusslinie bringen, oder so.
»Es tut mir leid«, sage ich. »Es tut mir ehrlich leid. Ich weiß auch nicht, was los war.«
Niki antwortet nicht.
»Guten Morgen«, sage ich leise.
Die blauen Supermanaugen wenden sich mir zu. »Das hier ist deine Entscheidung. Entweder du redest mit mir, oder du tust es nicht. Ich habe dir schon gestern gesagt, dass du dich entscheiden musst.«
»Ja, wir reden. Die können mich mal.« Ich komme mir erbärmlich vor. Erbärmlich, weil ich so wenig überzeugend klinge.
Niki lächelt spöttisch. »Pass auf, das musst du nicht. Was war denn schon groß? Ist ja nicht so, als hätten wir zusammen Schweine gehütet oder so.«
Das schockt mich. »Ich wollte doch nur … ich meine, nach gestern … also ich dachte …« Irgendwie habe ich geglaubt, wir hätten sogar etwas Bedeutenderes getan, als Schweine zu hüten. Bedeutend zumindest für mich.
Niki räumt ungerührt seine Stifte ein. »Wenn du was Barmherziges tun willst, spende doch oder geh zur Kirche.«
»Du kannst echt ein Arschloch sein, weißt du das?« Ich rutsche vom Stuhl, gehe zurück auf meinen Platz. Tränen steigen mir in die Augen.
Miriam beugt sich zu mir herüber. »Alles in Ordnung?«
Die redet sonst nie, wirklich nie mit mir. Ich nicke, lächele sogar. »Klar. Ging um Englisch«, sage ich und blinzele die Tränen runter. Zu Felix sehe ich vorsichtshalber nicht.
Die zweite Stunde schleicht noch langsamer dahin als die erste. Ich kann mich kaum konzentrieren. Als es dann endlich, endlich läutet, steht Felix so schnell vor meinem Tisch, als hätte er sich rübergebeamt.
Er lächelt verhalten. »Wollen wir los?«, fragt er, noch während ich mein Heft und mein Buch einpacke.
»Los? Wohin? In die Pause?« Ich hänge mir meine Tasche um.
Felix streckt mir die Hand hin.
Ich lasse mich von ihm in Richtung Pausenhof ziehen. Im Gebäude ist es voll und stickig, die kleineren Schüler toben durch die Gänge. Ich muss ständig an Schweine denken, Horden voller kleiner, quiekender Ferkel. Irgendwer hat Luftballons in der Halle verteilt, und ständig hört man einen davon platzen. Klingt so, als würde jemand schießen. Ich befreie meine Hand. »Ich muss noch zur Toilette«,
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