Zwischen Ewig und Jetzt
die in den Keller führen. »Da unten liegen Leichen?«
Niki schweigt. Er scheint zu überlegen, was er sagen soll. »Da unten ist die Kühlkammer, ja. Man kann nichts erkennen. Es sind nur silberne Klappen zu sehen. Es ist nur so, dass ich dort …«, er überlegt wieder einen Augenblick. »Dort kann ich mich am besten konzentrieren«, sagt er dann.
»Warum musst du dich konzentrieren? Wird das eine Séance oder so? Müssen wir Kerzen anmachen, irgendwas beschwören?« Meine Stimme klingt panisch, und so fühle ich mich auch.
Niki betrachtet mich mitleidig. Ja, mitleidig: Ich kann das sehen. »Sie sind eben gern in der Nähe ihrer Körper«, sagt er, was ich nicht verstehe.
Ich höre nur ›Körper‹ und bin schon bedient. »Das kann ich nicht«, sage ich und merke erst jetzt, dass das wahr ist. »Das kann ich nicht, Niki. Bitte. Bitte verlang das nicht von mir.«
Niki steckt seine Hände in die Tasche seiner Jacke, als sei ihm kalt. »Du musst nicht gehen«, erklärt er. »Nicht für mich, obwohl …« Er lacht bitter. Dann schüttelt er den Kopf. »Nein, nicht für mich. Er will sich verabschieden. Und muss dir noch etwas Wichtiges sagen. Und er singt.«
Ich glaube erst, mich verhört zu haben. »Er singt?«
»Ja, summt, singt, ständig. Und ehrlich gesagt nervt das ziemlich, vor allem, wenn man Hausaufgaben erledigen muss, und ich bin froh, wenn er … nun ja, weg ist.«
»Weg ist? Wohin weg?«
Niki rückt seine Strickmütze nach hinten. »Darauf erwartest du nicht im Ernst eine Antwort, oder?«
Ich starre ihn an.
Er seufzt. »Weg, abgehauen, vielleicht auch einfach nur begraben. Denn danach, also nach ihrem Begräbnis, habe ich niemanden von ihnen wieder gehört. Scheint so, als sei die Sache damit erledigt.«
Die Sache? O Mann, er meint es ernst, verdammt ernst sogar. So ernst, dass ich die letzten Minuten gar nicht mehr daran gedacht habe, dass das alles nur ein Fake ist. Eine Lüge, Betrug, irgendwas. Bleibt nur die Frage, warum er das tut. »Das ist wirklich, also wirklich …«
»O nein«, schneidet mir Niki das Wort ab und zeigt mit dem Finger auf mich. »Du flüchtest dich nicht in dieses Das-kann-alles-nicht-stimmen. Denn dann wäre ich wirklich der letzte, aber auch wirklich der allerletzte Arsch, dir so etwas anzutun. Du hörst ihm jetzt wenigstens zu. Und danach, aber erst danach«, und er wirft wieder seinen Laserblick an, »kannst du mich wie den letzten Arsch behandeln. Aber dann weiß ich, dass es nicht meine Schuld ist. Dann ist es so, weil du damit nicht leben willst. Und damit kann
ich
dann leben.«
Mein Kopf schwirrt. Irgendwo zwischen den ganzen Leben habe ich den Faden verloren, aber denken kann ich sowieso nicht mehr. Nur noch wünschen. Und ich wünsche mir, wünsche mir glühend, ich hätte mich niemals darauf eingelassen.
»Na los«, sagt Niki, aber er sagt es sanft, fast zärtlich. »Es ist doch dein Opa. Du musst keine Angst haben. Nicht vor ihm.«
Nicht vor meinem Opa, aber vor anderen schon? Ich greife nach seiner Hand. Vielleicht hat er sie mir gar nicht angeboten, sondern nur auf mich gezeigt, aber die brauche ich jetzt. Ich klammere mich fest an ihn.
Im Keller ist es trocken und recht warm, die Wände sind weiß gestrichen. Der Boden ist gefliest und die Deckenlampen an: Hier ist nichts Unheimliches oder so, keine Geheimecken für Gespenster, nicht mal eine Spinne könnte sich hier verstecken. Im ersten Raum rechts kann ich die silbernen Schubladen sehen, die man aus jedem zweiten amerikanischen Krimi kennt, aber Niki führt mich daran vorbei und ins nächste Zimmer. Es ist ein Büro. Über dem Schreibtisch an der gegenüberliegenden Wand ist ein schmales Fenster, das auf Kipp steht. Es tröstet mich, dass es nach Straße riecht, nach Blättern und Auspuffgasen, nicht etwa nach … tja, was hatte ich mir vorgestellt? Den Geruch von Erde? Von Gruft?
»Willst du dich nicht setzen?« Niki lässt meine Hand los und deutet auf ein schmales Sofa links an der Wand. Darüber hängen Drucke von Blumen. Er selbst nimmt auf dem Schreibtischstuhl Platz. Während ich mich noch umsehe, die Aktenschränke rechts und links ansehe, auf denen Dosen mit unterschiedlich großen Kieseln stehen, und dann das Poster über Grablichter betrachte, macht Niki gar nichts. Er meditiert nicht etwa, zündet keine Kerze an oder so. Er sitzt einfach nur so da.
Habe nur ich das Gefühl, oder wird die Luft mit einem Mal stickiger?
»Ja, das ist sie«, sagt Niki völlig unvermittelt und
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