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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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hält immer noch meine Hand.
    »Äh, ja«, sage ich. Die Leute geben oft Zitate aus
Romeo und Julia
zum Besten, wenn sie meinen Namen hören. Immer noch besser als bei der armen Isolde, einer früheren Mitschülerin. Bei der haben sie auch noch angefangen zu singen.
    »Niki wird begeistert sein.« Herr Galanis tätschelt meinen Handrücken.
    Das glaube ich zwar nicht, aber ich lächle tapfer.
    »Ist bestimmt in seinem Zimmer. Immer. Ist ja immer da. Da gehst du, ich darf doch ›du‹ sagen? Da gehst du hier weiter und dann die Treppe hoch. Keine Angst vor dem Hund, der tut nix. Und da ist es, die Tür mit dem Poster dran, mit diesem Mann, wirst du schon sehen. Da ist er. Er ist immer da.« Herr Galanis schüttelt noch einmal meine Hand und lässt dann los, um mich in die richtige Richtung zu schieben.
    »Danke«, sage ich über meine Schulter und finde auch die Treppe. Und den Hund. Über den wäre ich beinah gestolpert, weil er mitten im Flur liegt. Ein Basset, soweit ich mich mit Hunden auskenne. Und entweder ist er tot oder nur sehr faul, denn als ich über ihn steige, rührt er sich nicht von der Stelle. Ehrlich gesagt ist mir das auch lieber so: Ich bin nicht so der Hundefan, seit mich mal ein Dackel gebissen hat. Und das war nicht so harmlos, wie es sich anhört, denn ich war noch sehr klein und der Dackel ein außergewöhnlich großes Exemplar seiner Gattung.
    Das Poster an der Tür ist eine Überraschung. Ich habe automatisch an einen Sänger gedacht, irgendwas, das mit Musik zusammenhängt, doch an der Tür strahlt mir siegessicher Barack Obama entgegen. Auf jeden Fall ist es die einzige Tür mit einem Poster, also hole ich tief Luft und klopfe an. Und gehe rein, als ich die Aufforderung dazu höre.
    Das Zimmer ist recht groß, aber spartanisch eingerichtet. Niki sitzt am Schreibtisch und dreht sich auf dem Stuhl zu mir herum. Es gibt noch ein Bett und einen Schrank, und das war’s. Klamotten liegen überall verstreut. An den Wänden hängt nicht ein einziges Bild.
    Ich sehe zwar, dass er überrascht ist, kann aber nicht einschätzen, ob das gut oder schlecht ist. Wahrscheinlich muss ich das Überraschungsmoment nutzen, bevor er sich selbst im Klaren darüber ist. »Keine Angst«, sage ich. So wie er es getan hat, bei unserer ersten echten Begegnung.
    Niki steht auf und schiebt die Hände in die Hosentaschen. Er trägt ein weißes T-Shirt, seine Haare fallen ihm unordentlich in die Augen.
    Ich habe ihn noch nie mit so wenig bekleidet gesehen, das erklärt vielleicht die Nervosität, die ich jetzt empfinde. Und diese merkwürdige Art von Sehnsucht. »Keine Angst«, wiederhole ich, »ich bin gleich wieder weg. Du hattest recht, mit der Schule und so. Es tut mir leid.«
    Niki sagt immer noch nichts, und das finde ich unfair. Sehr unfair. Weil ich nämlich auch nicht weiß, was ich jetzt noch sagen soll. »Also, mein Vater ist tot«, beginne ich. »Er starb bei einem Verkehrsunfall vor zwei Jahren. Es hat geregnet, ich glaube zumindest, dass es geregnet hat, auf jeden Fall kam sein Auto von der Fahrbahn ab und ist gegen einen Baum geprallt. Er war wohl gleich tot. Das Auto hat Feuer gefangen. Er ist verbrannt. Das ist zumindest das, was sie mir erzählt haben. Die Polizistin. Meine Mutter.« Irgendwo tropft es. Ich versuche, das zu ignorieren.
    »Julia, du musst nicht …«, sagt Niki und geht einen Schritt auf mich zu, aber ich halte ihn auf. Strecke ihm meine Hand entgegen.
    »Doch, ich muss. Du musst das wissen. Weil es mir wirklich, wirklich leid tut.« Ich schlucke. Es sitzt etwas in meinem Hals, aber ich kann noch sprechen. »Mein Vater war schon verheiratet und hatte eine Familie. Eine vermögende Frau, einen Sohn. Meine Mutter war seine Sekretärin. Das ist ein super Klischee, ich weiß, aber so war es nun mal. Sie verliebten sich, meine Mutter wurde schwanger. Mein Vater hat uns ein Haus gekauft und uns besucht, so oft er konnte. Ich dachte, er würde als Ingenieur in Afrika arbeiten. Das hatte ich mir so ausgemalt, weil das bei einem Mädchen aus meiner Schule so war, und deren Vater war auch nie da. Und meine Mutter hat mir nie widersprochen. Sie hat mich diesen Scheiß bis zuletzt glauben lassen.« Es tropft immer noch. Wasser tropft auf meine Wangen, und ich sehe nach oben zur Decke, um rauszufinden, woher es kommt. »Regnet es?«
    »Du weinst«, sagt Niki, und wieder will er auf mich zukommen.
    Ich gehe einen Schritt zurück, die Hände abweisend ausgestreckt, und spreche rasch weiter. »Dann

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