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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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runzelt die Stirn. Dann reißt sie sich zusammen. »Hier lang.« Sie führt uns nach links in die Küche, von da aus weiter in den Keller: Das Zimmer, in das sie uns bringt, wirkt recht düster, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass es nur kleine, lukenartige Fenster hat. Eine Wand wird von einem tiefen Regal mit Büchern eingenommen. Die anderen Wände sind kahl, abgesehen von einem Poster über einer Couch: die Fotografie eines splitternackten, langhaarigen und bärtigen Mannes, der mit heruntergelassener Hose auf der Toilette sitzt.
    Alice sieht wohl meinen entgeisterten Blick. »Das ist Frank Zappa«, erklärt sie. »Du weißt schon.«
    »Klar«, sage ich, obwohl ich keinen Schimmer habe, wer das sein soll. Auf jeden Fall jemand mit einem dringenden Bedürfnis, soviel steht fest.
    Die Couch und zwei Sessel davor sehen abgenutzt aus, zwischen zwei überdimensionalen Lautsprecherboxen steht eine E-Gitarre in einem Ständer.
    »Das Übungszimmer von meinem Vater«, sagt Alice, führt das aber nicht weiter aus. Sie lässt sich in einen Sessel fallen, wir nehmen auf der Couch unter dem nackten Zappa Platz.
    Zunächst sagt niemand von uns etwas. Ich sehe mich im Raum um und versuche, die Titel der Bücher im Regal zu lesen, Alice verschwindet fast zwischen den Polstern. Von dem hyperaktiven Plappermaul ist nicht viel übriggeblieben. Niki denkt nach. Glaube ich zumindest. Er hat sich vorgebeugt und die Fingerspitzen aneinander gelegt, seine Augen sind geschlossen.
    Die Stille wird … dichter, anders kann ich es nicht beschreiben. Es kommt mir so vor, als würde die Luft mit einem Mal schwerer, der Druck auf die Ohren nimmt zu. Nur leicht, nicht wie bei einem startenden Flugzeug oder so. Aber es genügt, um nervös zu werden.
    Alice merkt es auch. Sie fasst sich ans Ohr und macht den Mund auf und zu wie ein Goldfisch, den man aufs Trockene geworfen hat.
    Es ist schon fast eine Erleichterung, als Niki endlich spricht. »Es ist die Freundin deiner Mutter«, sagt er.
    Alice nickt. Tränen schießen ihr in die Augen. »Tante Carola. Ich weiß. Sie ist … ist vor drei Tagen gestorben.« Sie fragt nicht, woher Niki das weiß. Sie streitet nichts ab, will aber auch nichts wissen. Hat sich einfach in ihr Schicksal ergeben, ihm zuhören zu müssen. Und ihm zu glauben.
    Ich bin nicht so hundertprozentig überzeugt. Klar, bei meinem Opa war das anders, aber inzwischen kommt mir das doch ein wenig unwirklich vor. Kein Wunder: Es ist ja auch unwirklich. Himmel, diese Luft. Vielleicht könnte man mal eins der Fenster öffnen. »Soll ich mal …« Weiter komme ich nicht.
    Niki hat sich so schnell zu mir umgedreht, dass ich vor Schreck zusammenfahre. »Was willst du?«, zischt er. Er zischt es wirklich, und seine Augen werden zu schmalen Schlitzen. Dann, als hätte ich ihn geträumt, ist dieser Moment vorbei.
    Die Luft steht. In meinen Ohren dröhnt es dumpf.
    »Also deine Tante Carola.« Niki spricht weiter, als wäre nichts passiert. »Sie will …« Er bricht ab.
    Alice hat uns die ganze Zeit über mit schreckensgeweiteten Augen beobachtet. »Was ist denn? Was will sie?«, fragt sie jetzt mit dünner Stimme.
    »Mit dir über deine Mutter reden«, sagt Niki. Sein Tonfall klingt fast wieder normal, vielleicht ein wenig gepresst.
    Mit einem Krach wie ein Schuss, der mich erneut zusammenfahren lässt, fällt eins der Bücher um, dann das nächste und das übernächste. Ich starre darauf, und auch Alice ist herumgefahren, doch Niki reagiert gar nicht.
    »Über deine Mutter«, fährt er ungerührt fort, als hätte er nichts gehört. Er reibt sich die Stirn. »Sie hat so viele Erinnerungen an sie, so viele Geschichten, die sie dir immer schon einmal erzählen wollte. Es war nie der richtige Zeitpunkt, und jetzt ist es zu spät.« Niki sieht hoch. Seine Augen glühen förmlich in dem merkwürdigen Zwielicht dieses Kellers. »Sie will dir erzählen, was für ein Mensch deine Mutter war.«
    War? Ist die Mutter von Alice tot? Ich blicke von Niki zu Alice, dann wieder zurück. Und sehe direkt in Nikis Tiefseeaugen. Obwohl: So richtig stimmt das nicht: Ich sehe hinein, aber ist das auch Niki? Für einen fürchterlichen Moment habe ich das Gefühl, jemand anders sieht mich durch seine Augen hindurch an. Unbeweglich. Ohne zu zwinkern. Und in dem Blick liegt so eine Kälte, dass es mir den Atem verschlägt.
    »Ich will …«, zischt Niki. Er schließt kurz die Augen, dann räuspert er sich. »Sie will allerdings alleine mit Alice

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