Zwischen Ewig und Jetzt
noch mit meinem Freund zusammen.
»Heute siehst du schon viel besser aus, meine Schöne«, sagt Felix, als ich mich im Bus an ihn schmiege.
»Ja, nicht wahr?« Die Wahrheit steht mir gut. Sie vertreibt sogar die lästigen Träume.
Er küsst mich, und ich küsse ihn zurück. Es kann auch leicht sein zu leben. Einfach nur den Augenblick zu genießen, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft. Ich bin sechzehn, verdammt nochmal. Ich habe das Recht dazu.
Felix plant etwas, um mich vom Tod meines Großvaters abzulenken, wie er sagt. Diesen Nachmittag. Doch ich muss absagen.
Ich erzähle ihm, dass ich meiner Mutter mit den Beerdigungsvorbereitungen helfen muss. Das geht natürlich vor.
»Dann morgen, am Samstag«, sagt er und küsst mich so lange, bis der Bus hält.
»Morgen«, bestätige ich, nachdem der Fahrer ungeduldig »Seid ihr bald fertig?« nach hinten gerufen hat und ich wieder Luft holen kann.
Natürlich muss ich meiner Mutter nicht helfen: Es ist alles organisiert. Sogar die Anzahl der Schnittchen »hinterher« wurden von ihr kalkuliert: Sie ist nicht umsonst Sekretärin gewesen. Doch heute, habe ich mir vorgenommen, spreche ich noch einmal mit meinem Opa. Heute Nachmittag werde ich genug Kraft haben, um alles über den Tod meines Vaters und das Testament (den richtigen Anwalt? Den wahren? Den einzigen?) zu erfahren.
Und solange wähle ich das Leben. Und Felix. Pflücke den Tag, wie es so schön in irgendeinem Sinnspruch heißt. Hänge mit der Clique rum und beteilige mich sogar an der Diskussion über Chanel und das neue Parfüm, das ich liebe.
Ich küsse Felix, lache, lasse mich von Fred mit der Chanel-Probe besprühen. Diskutiere Düfte. Genieße die Sonne und die Lebenden. Der Nachmittag wird den Schatten gehören.
Als ich bei Niki ankomme, empfängt der mich schon auf der Treppe. »Es tut mir leid, Julia. Ein Notfall.« Er zieht gerade seine Lederjacke an.
»Ist was passiert?«
»Allerdings. Und ich … ich bräuchte deine Hilfe.« Er holt die Kapuze seines Pullis hinten aus der Jacke.
Meine Hilfe? Nun ja. Schließlich haben wir einmal miteinander Schweine gehütet, das verpflichtet. Ich räuspere mich. »Klar werde ich dir helfen.«
»Es geht um Alice.«
»Alice?«
»Ja, du bist doch mit ihr befreundet.«
Ich schüttele den Kopf. »Überhaupt nicht. Sie hat mich auf dem Schulhof rumgeführt, mich mit allen bekannt gemacht, aber befreundet …«
»Wie auch immer«, unterbricht Niki mich ungeduldig. »Sie braucht uns. Und du musst dafür sorgen, dass ich mit ihr reden kann.«
»Sorgen? Wieso muss ich dafür sorgen …«
Niki lächelt traurig. »Julia. Sie würde mich doch noch nicht mal ›Hallo‹ sagen lassen. Ganz zu schweigen davon, dass sie mich reinbitten und mir Tee servieren würde.«
Das stimmt wohl. Ich lächele wehmütig zurück. »Für den Tee kann ich zwar nicht garantieren, aber mal sehen, was ich machen kann.« Ich sehe noch ihr Gesicht vor mir, damals auf dem Schulhof, höre ihre Stimme. »Das ist Niki, der ist auch in unserer Klasse.« Wird wohl nicht so einfach werden, ob mit Tee oder ohne.
Alice ist, gelinde gesagt, erstaunt, als ich so einfach vor ihrer Tür stehe. Noch erstaunter ist sie allerdings, als sie Niki sieht. Dann verwandelt sich ihr Erstaunen in Panik. In Sekundenschnelle geht das.
»O nein«, stammelt sie mit aufgerissenen Augen. »Bitte nicht. Bitte.«
»Es ist nichts passiert«, sage ich rasch. »Wir wollen nur mit dir reden.«
»Mit mir reden? Aber warum?« Sie sieht von Niki zu mir, saugt sich förmlich an meinem Gesicht fest, als sei ich ihre Rettung. »Ist es mein Vater? Ist ihm etwas zugestoßen?«
Ich schüttele den Kopf. »Mit deinem Vater ist alles in Ordnung. Wir wollen nur reden.«
Alice starrt mich weiterhin an. Es dauert eine Weile, bis sie sich einen Ruck gibt und wieder etwas sagt. »Na gut. Dann …, dann kommt am besten rein.« Man sieht ihr an, dass sie lieber mit einem Skorpion kuscheln würde, als uns hereinzubitten, und ehrlich gesagt trifft mich das: Wir sind zwar nicht befreundet, mögen uns aber. Dachte ich bislang zumindest.
Niki und ich folgen Alice in einen engen Flur. Hinter der Tür rechts von uns ist wütendes Gebell zu hören, dazu ein Kratzen an der Tür.
»Keine Angst«, sagt Alice, »das ist nur … oh.«
Das Gebell ist abrupt verstummt.
»Unser Dackel«, vervollständigt sie ihren Satz. »Ich sperre ihn immer weg, damit er sich nicht so aufregt.«
Sag ich ja: Dackel. Wahre Bestien.
Alice sieht zur Tür und
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