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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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sprechen.« Seine Pupillen: Irgendetwas stimmt nicht damit. Sie werden mal größer, mal kleiner. Als würde er ständig ins Licht blinzeln und wieder wegsehen.
    Ich starre ihn an.
    »Julia?«, sagt Niki. Seine Stimme klingt eher bittend als befehlend.
    »Was? Oh, natürlich.« Die schwere Luft hüllt mich ein. Macht mich zwar nicht schläfrig, aber weniger wachsam. Es fällt mir schwer, mich zu erheben und das Zimmer zu verlassen, obwohl ich gleichzeitig nichts lieber täte. »Ich warte in der Küche«, sage ich zu Alice, die abwesend nickt. Ihr Gesicht ist tränenüberströmt, und mit einem Mal wird mir bewusst, was Niki hier tut. Was wir hier tun: Wer will denn schon freiwillig mit Toten reden?
     
    Mir ist schlecht, als ich die Tür zum Übungszimmer hinter mir zuziehe, doch mit jedem Schritt wird es besser. Schon auf der Treppe fällt diese merkwürdige Lethargie von mir ab, kann ich freier atmen.
    In der Küche suche ich mir als Erstes ein Glas. Es ist eine dieser nichtssagenden, weiß verkleideten Einbauküchen, allerdings gibt es einen amerikanischen Kühlschrank, der mit einem satten »Plopp« aufgeht. Bis auf eine Packung Käse und Wurst, abgepacktem Brot und Pflaumenmus ist nichts drin, kein Saft oder so. Nicht einmal Milch. Ich schließe die Tür wieder und hole mir stattdessen Leitungswasser. Dann setze ich mich an den Küchentisch an der Wand und warte.
    Zwei Stühle. Nicht viel im Kühlschrank. Einen Haufen Kochbücher auf der Anrichte. Die Mutter von Alice ist tot. Etwas, das ich nicht wusste, wie ich so vieles über Alice nicht weiß. Über Alice und alle anderen: Teil einer Clique zu sein schirmt auch ab. Macht dich gleichgültiger anderen gegenüber. Mitleidloser.
    Ich brauche allerdings nur an Alices Gesicht zu denken, um tiefes Mitgefühl zu empfinden. Und mich zu der Frage zurückzubringen, was wir hier eigentlich mit ihr machen.
    Ich trinke hastig etwas Wasser, verschlucke mich und muss husten. Prompt fängt das Dackelmonster wieder an zu bellen: Das hatte ich ganz vergessen. Und dieses Mal hört es nicht auf, obwohl ich ganz leise bin. Das Gekläffe macht mich nervös und lässt mich keinen klaren Gedanken fassen. Darüber, was eben passiert ist. Darüber, wie Niki sich benommen hat. Das war so anders als das mit meinem Großvater. Da hat er sich überhaupt nicht merkwürdig verhalten. Na gut, bis auf das Verstummen, dieses Vor-sich-Hinstarren. Aber das hier, das war … unheimlich. Und mehr noch, und es fällt mir schwer, mir das einzugestehen: Das war fast abstoßend. Auf jeden Fall nichts, was ich noch öfter erleben möchte.
    Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht höre, dass die Haustür geöffnet wird. Erst als eine Stimme sagt: »Na, wer hat dich denn hier eingesperrt?«, werde ich wach.
    Ein Mann. Alices Vater?
    Mit einem Satz stehe ich auf dem Stuhl, und das keinen Augenblick zu früh, denn schon einen Sekundenbruchteil später hetzt das Dackelmonster herein und tänzelt hasserfüllt vor meinem Stuhl auf und ab.
    Wenig später ist auch Alices Vater da: Ein Mann mit langen Haaren und Schnäuzer, und einen Moment lang frage ich mich, ob das Poster aus dem Keller lebendig geworden ist. Falls ja, ist es jetzt wenigstens angezogen.
    »Oh, hallo«, sagt das Poster, sagt dieser Zappa und blickt zu mir hoch. Er sieht mindestens ebenso erschrocken aus, wie ich mich fühle.
    »Hallo«, erwidere ich über das Kläffen hinweg. »Ich bin eine Freundin von Alice.« Nur für den Fall, dass er mich für eine Einbrecherin hält und dem Monster zum Fraß vorwerfen will.
    »Hallo Freundin von Alice«, erwidert Zappa. »Schluss Bibi, aus«, befiehlt er dem aufgeregten Hund, den das allerdings nicht interessiert.
    Bibi? Was ist das denn für ein blöder Name?
    »Hast du Angst vor Hunden?«, fragt Zappa dann und grinst.
    Ich verziehe den Mund. »Ein bisschen«, erwidere ich.
    »Vielleicht sollte ich ihn dann lieber …«
    »Das wäre nett.« Ich warte, bis Zappa das Dackelmonster auch wirklich, wirklich weggesperrt hat.
    Alices Vater grinst noch immer, als er zurückkommt. »Gibt nicht viele Menschen, die sich vor Zwergdackeln fürchten. Hast du Angst, er könnte sich zwischen deinen Zehen verstecken?«
    Aha. Alices Vater ist ein Scherzkeks. »Nein«, sage ich so hoheitsvoll wie möglich, während ich von meinem Stuhl steige. »Ich dachte, er könnte sich durch eine Pore bohren und unter meiner Haut einnisten. Und ich hasse Pickel.«
    Zappa lacht. »Und du bist also …«
    »Julia«,

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