Zwischen Ewig und Jetzt
Bist du noch bei uns?«
»Was?« Ich blinzele den Regen weg.
Felix kniet neben mir und hält meine Hand fest. Ich war so konzentriert, so versunken in meine Vergangenheit, ich habe es gar nicht gemerkt. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Ich weiß nicht.« Ich sehe von ihm zu Niki, der mich ebenso besorgt beobachtet. Irgendwie läuft das hier so gar nicht, wie wir uns das vorgestellt haben. »Wer ist denn diese Frau?«
»Das sollten wir vielleicht als Erstes rauskriegen. Niki? Irgendeine Idee?« Es ist merkwürdig, Felix einfach so mit Niki reden zu hören. Es hört sich zu harmlos an in meinen Ohren. Bemüht harmlos.
»Ich kriege das raus. Werde mal im Keller nachsehen, in ein paar Papieren wühlen.« Niki antwortet in demselben Tonfall. Er sieht blass aus, aber entschlossen.
Felix steht auf. »Ich helfe dir.«
Niki erhebt sich ebenfalls. »Gut.«
»Und ich?«, will ich wissen. Ich traue ihnen nicht. Irgendwas geht hier vor, irgendeine geheime Absprache oder so. Über mich hinweg getroffen, als ich mal eine Sekunde lang nicht aufgepasst habe.
Felix und Niki müssen sich gar nicht ansehen: Sie schütteln zeitgleich den Kopf. »Zu gefährlich«, sagt Niki.
»Ja«, stimmt Felix ihm zu, »schließlich ist die Stimme nicht gerade ein Fan von dir.«
Aha. Da ist sie, die Absprache. Es ist eine dieser Wir-passen-schon-auf-Julia-auf-Nummern. »Und was soll ich in der Zwischenzeit machen?«
»Deine Mutter bearbeiten. Du musst wenn möglich an die Sachen von deinem Opa kommen. Justin vermutet, dass da was zu finden ist. Vielleicht hat er recht. Und dann müssen wir ihm unbedingt zuvorkommen«, kommt es wie aus der Pistole geschossen von Felix.
Abgesprengt kann man das wohl nennen. Ich lasse es zu, weil ich mich nach der Sache eben fühle wie ausgespuckt. Niki hat mir einen verdammten Schrecken eingejagt, und da ist es mir schon beinah egal, wer die gruselige Dame in seinem Kopf war. Hauptsache, sie kommt nicht wieder. Widerstandslos ziehe ich meine Jacke an. Felix küsst mich zum Abschied, Niki ist schon an der Zimmertür.
»Wir lassen nicht zu, dass diese dumme Kuh dich beleidigt«, sagt Felix und zwinkert mir zu.
»Und schon gar nicht in meinem Kopf«, ergänzt Niki grimmig.
Ich habe kaum die Zimmertür hinter mir geschlossen, als ich sie auch schon reden höre. Erst will ich lauschen, doch dann komme ich mir schäbig vor. Nein, ich überlasse den fremden Geist den Jungs und kümmere mich lieber um meinen toten Opa. Leichen pflastern meinen Weg. Vor knapp zwei Jahren war das einzig Tote in meinem Leben der Braten in der Kühltruhe.
Am Fuß der Treppe stolpere ich fast über Sherlock. Dieses Mal jedoch liegt er nicht schlafend irgendwo rum, sondern sitzt sehr wach vor mir und beobachtet mich. Ich glaube, er knurrt sogar. Ich kann zwar nichts hören, aber er zieht die Lefzen ein wenig hoch. Sieht aus, als lächele er ein hinterhältiges Hundelächeln.
»Oh, hallo Sherlock, wie geht’s«, murmele ich und will mich an ihm vorbeidrücken.
Bernsteinfarbene Hundeaugen und ein böses Lächeln folgen mir.
Mir fällt ein, dass der Bassett ja nur Englisch spricht, also versuche ich es mit »Hi Sherlock, be a nice dog and let me …, let me durch.«
Er grinst noch breiter.
»Okay, mein Englisch ist nicht das Beste. Könntest du mich trotzdem durchlassen?« Was heißt noch mal ›durchlassen‹? »Through. I want to go through.«
»Julia?«
Ich erschrecke mich zu Tode, aber das war natürlich nicht Sherlock, sondern Herr Galanis. Er taucht plötzlich hinter dem Hund auf, angetan mit einer weißen Küchenschürze, auf der
Grillmeister
steht, und einer Schöpfkelle in der Hand. Er wird doch wohl nicht in diesem Aufzug unten bei seinen Leichen … Aber nein, da rieche ich es. Er kocht.
»Julia? Willst du schon los?«
»Ja«, antworte ich betont heiter, »ich muss dann mal wieder. Aber Sherlock lässt mich nicht gehen.«
Herr Galanis lächelt breit. »Aha, du hast wohl etwas gebrochen.«
»Was?«
»Sherlock ist immerhin Detektiv. Er spürt sowas. Wenn jemand etwas gebrochen hat.«
»Ver-brochen, ach so, Sie meinen verbrochen. Nein. Habe ich nicht.«
Er lächelt. Sollte wohl ein Witz sein. »Komm mit mir. Habe eine wunderbare Giouvarlakia, die du probieren musst.«
Zeit zu antworten oder gar nein zu sagen lässt er mir erst gar nicht. Ich quetsche mich also an Sherlock vorbei, der eine Schrecksekunde lang an meinem Bein schnüffelt, und folge Nikis Vater in die Küche. Es ist eine schöne, gemütliche
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