Zwischen Ewig und Jetzt
Testament wissen und jetzt danach suchen. Davon hat dein Opa allerdings nichts gesagt … Mist. Wir hätten eher dran denken müssen. Hat er die Sachen schon?«
»Keine Ahnung. Aber ich glaube nicht: Er war wohl ein paar Tage geschäftlich unterwegs und ist erst jetzt zurückgekommen.«
»Dann müssen wir dorthin. Die Klamotten durchwühlen, wenn’s sein muss.«
»Niki, niemand kennt mich da. Ich habe meinen Opa nie besucht. Rein rechtlich ist er nicht mal mein Opa, zumindest solange nicht, wie die Vaterschaftsklage noch nicht durch ist.«
»Dann musst du deine Mutter überreden, das für dich zu tun.«
»Und mit welcher Begründung? Dass mein toter Opa mir von einem Testament erzählt hat und sich vielleicht irgendein Hinweis darauf unter seinen Sachen befindet? Außerdem würde sie das nach dem Brief sowieso nicht mehr tun.«
»Wohl wahr«, muss Niki zugeben. Mehr fällt ihm auf die Schnelle auch nicht ein. Wir überlegen zwar noch eine Weile, dann muss ich auflegen – ich muss schließlich noch Felix über die neuste Entwicklung auf dem Laufenden halten.
Und der redet nicht lange, der kommt gleich vorbei. Ich habe ihn noch nie so wütend gesehen. Am Abend der Beerdigung, als ich ihm die Sache mit Niki erklären musste, da ist er auch wütend gewesen, klar. Aber nicht so wie jetzt.
Meiner Mutter gegenüber allerdings ist er charmant wie immer, damit sie ihn reinlässt. Sie ist nicht so begeistert darüber, dass er abends noch bei uns auftaucht, wo wir uns doch den ganzen Tag über schon gesehen haben, aber Felix lässt sie einiges durchgehen. Sie müsse eh noch arbeiten, hat sie gesagt, als wir in mein Zimmer gehen. Trotzdem: Glücklich sieht sie darüber nicht aus. Selbst wenn morgen Samstag ist und wir ausschlafen könnten.
»Nicht so laut«, flüstere ich, als ich die Tür sorgfältig hinter uns schließe. »Meine Mutter darf auf keinen Fall etwas von dem Testament und von Opa erfahren.«
»Sachen regeln, also wirklich.« Felix kann sich kaum zügeln. »Am liebsten würde ich sofort zu deinem Halbbruder fahren und ihm auch noch eine reinhauen. Mit schönen Grüßen vom echten Felix oder so.« Er setzt sich auf den Boden vor dem Kleiderschrank, der die eine Hälfte meines Zimmers einnimmt: Meine Mutter schläft zwar auf der ausziehbaren Couch im Wohnzimmer, hat ihre Klamotten aber auch dort drin. Felix dreht den Brief von Justins Anwalt in den Händen und schüttelt den Kopf. Dann sieht er hoch. »Wo wohnt er überhaupt, der Scheißkerl?«
Ich zucke mit den Schultern. »In irgendeinem Hotel, nehme ich an. Ich könnte versuchen, meine Mutter unauffällig auszufragen.«
»Ja, mach das.« Felix sieht zum hundertsten Mal auf das Papier in seinen Händen, seufzt. Dann faltet er es zusammen und steckt es hinten in seine Jeans. Er steht auf, kommt zu mir herüber und setzt sich neben mich auf mein Bett. »Macht er dir Angst?«, fragt er, während er meine Hand nimmt.
»Jetzt nicht mehr«, erwidere ich lächelnd. Weil es stimmt. Wenn er neben mir sitzt, fühle ich mich sicher.
»Es ist ziemlich eindeutig«, kommt Felix zu demselben Schluss wie schon Niki und ich kurz zuvor: »Justin weiß von dem Testament eures Vaters, will es sich unter den Nagel reißen und vernichten.« Mit dem Daumen streicht er über meinen Handrücken.
»Das denkt Niki auch. Er meint, wir müssen unbedingt versuchen, ihm zuvorzukommen. Die Sachen meines Opas durchsuchen, oder so.«
»Ach so, Niki meint das.« Sein Daumen hält inne.
»Ja. Ich habe vorhin mit ihm telefoniert.« Ich versuche, seinen Blick aufzufangen. »Wird das jetzt immer so sein zwischen uns? Ich erwähne Niki, und du …«
»Ich was?«
»Keine Ahnung. Bist sauer. Hasst mich.«
»Ich könnte dich niemals hassen.« Endlich blickt Felix hoch, und eine warme Welle breitet sich in meinem Magen aus, als ich ihm in die Augen sehe. Sie sind ganz grau heute. Wahrscheinlich ist das die Nachwirkung seiner Wut.
Dann küssen wir uns. Und es ist fast wieder wie früher, wie vorher, dieses zärtliche Gefühl, das umkippt in Leidenschaft. Seine Hände, die erst über meinen Rücken irrlichtern, meine Taille streicheln, den Knopf meiner Jeans finden, den Reißverschluss, während seine Lippen über meinen Hals wandern …
»Verdammt«, stöhnt er, als ich ihn schweratmend von mir wegschiebe und in Richtung Wohnzimmer deute. Seine Augen glühen. Dann seufzt er, steht auf und stellt sich ans Fenster. Oder besser gesagt: Vor meine Schuhkartons, die sich darunter stapeln.
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