Zwischen Ewig und Jetzt
Küche, holzvertäfelt mit vielen Fotos an den Wänden. »Ist das alles Niki?«
Herr Galanis braucht gar nicht hochzusehen, um zu wissen, was ich meine. »Ja. Alles Nikolaos.«
Ich betrachte die Bilder näher. »Nicht zu glauben, dass er früher so helle Haare hatte.«
»Ja, Nikolaos war so … wie sagt man? Strahlend. Er war ein Engel.« Herr Galanis werkelt am Herd. Ein Topfdeckel klappert, es riecht nach Gewürzen und Tomaten.
Ich muss grinsen. »Jetzt ist er kein Engel mehr?«
Herr Galanis, ebenfalls ein breites Lächeln auf dem Gesicht, stellt einen dampfenden Teller vor mich hin. »Ein dunkler Engel.« Er sieht wohl meinen Gesichtsausdruck und fasst sich an den Kopf. »Wegen seiner Haare. Dunkel wie meine.«
»Ach so. Natürlich.« Ich bin etwas schreckhaft in letzter Zeit.
›Giouvarlakia‹ entpuppt sich als Suppe mit Fleischklößchen und Reis und schmeckt wirklich toll, auch wenn es für ein Mittagessen noch etwas früh ist. Und Herr Galanis ist ein super Geschichtenerzähler. Ich bezweifele zwar, dass es Niki gefallen würde, dass ich das alles über ihn weiß, aber mir gefällt es. Ich kann gar nicht genug Niki-Storys hören. Nur zwei Sachen fallen mir auf. Zum einen, dass auch Herr Galanis Nikis Mutter nicht erwähnt, nicht mit einem Wort. Und zum anderen, dass er wohl davon ausgeht, dass Niki und ich zusammen sind.
»Und Felix? Wie hast du unseren Felix kennengelernt? Sind nämlich alte Freunde, Nikolaos und Felix.«
Unser
Felix. Ich schlucke. »In der Schule. Wir gehen alle in dieselbe Klasse.«
»Ach so, na, das ist ein schöner Zufall. Glück, würde ich sagen. Die beiden waren beste Freunde.« Herr Galanis beugt sich vor. »Und dann, auf einen Tag war nichts mehr. Nikolaos ist aber auch selbst schuld. Verkriecht sich in seinem Zimmer wie eine Schnecke.« Er schüttelt sorgenvoll den Kopf. Dann strahlt er wieder. »Aber jetzt ist alles anders. Du bist hier, Julia. Und schon sind auch die Freunde wieder da.«
Die Suppe bleibt mir fast im Hals stecken. »Ja«, lächele ich tapfer und schiebe den Teller von mir weg, »das ist schön.« Ich räuspere mich. »Ich muss jetzt gehen, Herr Galanis, wirklich. Aber es hat sehr gut geschmeckt.«
Hundert Beteuerungen, bald wiederzukommen, später und eine Tupperschale voll Suppe in der Hand, stehe ich an der Haltestelle und fühle mich schuldig. Unser Felix. Mein Freund Niki. Mannomann. Dafür schmore ich in der Hölle. Wie hieß die noch bei den Griechen? Hades, genau. Ich bin eine sichere Kandidatin für den Hades.
6 . Kapitel
V iel haben Niki und Felix an diesem Tag nicht herausgefunden. Die gute Nachricht ist: Die Stimme will nichts von Niki, sie redet nicht mal mit ihm. Die schlechte: Die Stimme ist definitiv hinter mir her. Und mit mir redet sie. Weil ich sie nicht hören kann, Niki aber schon, kann er sich nicht mehr in meiner Nähe aufhalten.
»Eigentlich schimpft sie nur«, erzählt er mir Montag auf dem Schulhof und reibt sich die Stirn. »Sie verflucht dich, beleidigt dich: das volle Programm eben.«
»Und gibt sie dafür auch mal eine Erklärung? Ich meine, habe ich sie mal überfallen oder so? In einem früheren Leben? Ihren Hamster umgebracht? Was habe ich getan?«
Niki schließt gequält die Augen. »Muss schon mehr sein als nur der Hamster. Dafür ist sie viel zu aufgebracht.« Er schüttelt den Kopf, als müsse er wieder klar werden. »Tut mir leid, Julia, aber ich …«
»Ja. Ich weiß.« Ich muss ihn alleinlassen, auch wenn es mich zerreißt. Ich muss gehen und den wütenden Geist mitnehmen.
»Und? Gibt’s was Neues?« Felix erwartet mich mit ausdruckslosem Gesicht bei den Tischtennisplatten auf dem Außenhof. Er nickt Niki kurz zu, dann nimmt er mich in die Arme. »Ist sie noch da?«
»Und wie.« Es macht mir Angst, von einem Geist verfolgt zu werden, klar macht es mir Angst. Selbst wenn man nichts davon mitbekommt. Aber was, wenn er sich steigert?
Niki sagt, das können sie wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich. Niki sagt, er hätte noch nie erlebt, dass Tote Gegenstände bewegen. Und was war mit den Büchern damals in Alices Keller? Und wieso brauche ich nur an sein bleiches, blutverschmiertes Gesicht zu denken, um ihm nicht zu glauben?
»Du musst dich nur weiter fernhalten von Niki, dann erledigt sich die Sache von selbst. Dir kann die Stimme ja nichts, du hörst sie ja nicht mal«, sagt Felix selbstzufrieden.
Erledigt? Nichts ist erledigt. »Ich kann mich nicht von Niki fernhalten, wie du es so schön ausdrückst.
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