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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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Taschentuch.«
    »Ich hab kein …«
    »Felix! Irgendwas!«
    Felix reicht mir ein T-Shirt, das ich Niki unter die Nase halte. »O Gott, Niki, sag doch was. Bitte. Bitte rede mit mir.« Seine Wimpern sind so lang, sie werfen Schatten auf die Wangen. Selbst jetzt, selbst in dieser Situation kommt mir das in den Sinn. Endlich, eine gefühlte Ewigkeit später, flattern seine Lider und er schlägt die Augen auf. Endlos blaue Augen. Ich bin so erleichtert, dass mir Tränen über die Wangen laufen. »Was war denn? Niki, was war denn los?«
    Niki schüttelt leicht den Kopf. Er nimmt das T-Shirt von seinem Gesicht, zwinkert, als er sein eigenes Blut sieht.
    Felix kniet sich neben uns. »Das war wohl einer der fieseren Art.«
    »Der fieseren
was
?« Ich schniefe immer noch, Tränen nehmen mir die Sicht.
    »Es gibt nette und weniger nette Tote. Und glaub mir: Hättest du ihn angefasst, noch während er mit ihnen redet, hättest du es gespürt.«
    Ich starre Felix entgeistert an.
    Der setzt sich auf den Boden, lehnt sich an das Bett. »So hat er es mir damals bewiesen. Er hat meine Hand genommen, als er mit einem Toten Kontakt hatte. Das war so … so …« Er bricht ab. Sagt gar nichts mehr.
    Niki lässt sich auf den Rücken rollen und stöhnt. Mit der Hand reibt er sich über die Augen. »Ich … ich wollte es teilen. Musste es. Es war ein Fehler.« Eine Weile lang sagt keiner der beiden mehr etwas. Ich blicke von Felix zu Niki und zurück und warte.
    »Wegen damals. Tut mir leid«, sagt Niki schließlich.
    Felix bleibt stumm, und auch ich bin für einen Moment sprachlos. »Geht es? Geht es wieder?«, stammele ich dann und berühre leicht seinen Arm.
    »Ja, es geht.« Niki ist immer noch bleich, steht jedoch langsam auf und lässt sich auf den Schreibtischstuhl fallen. Das T-Shirt betrachtet er noch einmal, dann schmeißt er es in den Papierkorb. »Das war mein Lieblings-T-Shirt«, sagt er und lächelt schwach.
    »Du … du hast geblutet«, erwidere ich sinnigerweise. Das hat er wohl auch schon gemerkt. »Was war das denn nun? Was war denn mit dir los?«
    Niki schüttelt leicht den Kopf. »Eine Stimme, eine Frauenstimme. Und die war so wütend …« Er sieht zum Fenster hinaus.
    »Also eine Tote?«, fragt Felix.
    »Ja«, erwidert Niki abwesend, »das nehme ich an. Doch das ist merkwürdig, denn wir haben im Moment keine weibliche Leiche im Keller.« Er schweigt einen Augenblick lang, zögert. »Und noch etwas ist merkwürdig«, sagt er dann und dreht sich auf seinem Stuhl zu uns um. »Sie hat zu dir gesprochen, Julia.« Nikis blaue Augen sind auf mich gerichtet. »Sie hat zu dir gesprochen, als würde sie dich kennen. Und sie sagte wörtlich: ›Ich sehe dich. Ich sehe dich Luder ganz genau.‹«
     
    Ich bin schon öfter »Luder« genannt worden, wenn auch noch nie von einer Toten. Soweit ich weiß. »Geldgieriges Luder« war die häufigste Titulierung, die ich nach dem Tod meines Vaters gehört habe. »Erbschleicherin« fand ich harmloser, wurde aber auch gern verwendet. Immer leise, immer in einem zischenden Tonfall. Und immer so, dass ich es auch hören konnte.
    Mir machte das nichts. Ich war verletzt, gedemütigt, traurig und wütend zugleich. Mein Vater war tot, und das war nicht mal das Schlimmste: Er hatte mich außerdem belogen. Justin hatte mich belogen, meine Mutter, mein Opa, alle. Und ich stand selbst im Verdacht, eine Lügnerin zu sein.
    »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du nichts gemerkt hast.« Karolin schüttelte den Kopf.
    Ich stand bei ihnen, bei meiner Clique, so wie ich es in jeder Pause tat, und fühlte mich zu all den vielen Gefühlen auch noch dumm.
    »Ein Vater in Afrika, also wirklich.«
    »Petras Vater arbeitet in Afrika«, war mein schwacher Erklärungsversuch.
    »Ja, aber der tut es ja wirklich. Petra war schon einmal da, hat ihn besucht. Sie bekommt Briefe von da, Pakete, Anrufe. Alles Beweise.«
    Ich sah mich um. Sah zu Elke, Britta, Wiebke, zu all meinen Freundinnen, die mich neugierig anstarrten. Ich brauchte keine Beweise, damals brauchte ich das noch nicht. Das war doch mein Vater, über den wir sprachen!
    »Du hast nicht einmal einen Beweis, dass er auch wirklich dein Vater war«, sagte Karolin und zog vielsagend die Augenbrauen hoch.
    Da hörte ich es zum ersten Mal, dieses Tropfen wie von Regen, nur schwerer. Sah das Auto vor mir, die kaputte Windschutzscheibe. Roch förmlich den Rauch. Es regnete.
    Die nächste Pause versteckte ich mich auf der Toilette.
    »Julia? Julia!

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