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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lucas
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Prada-Imitat. »Was
du
machst, ist ja wohl die Frage. Scheiße nochmal, gib das her.« Ich reiße Niki das Taschentuch aus der Hand, das er hervorgezaubert hat, und wische damit an der Tasche herum. Erst danach presse ich es auf meinen pochenden Arm. »Was war denn das, um Himmels Willen?« Ich rede immer noch viel zu laut, schreie fast, das weiß ich selbst. Und eigentlich bin ich auch nicht wütend, nur erschrocken. »Was war denn das?«, wiederhole ich nur eine Spur ruhiger.
    »Ich … keine Ahnung«, erwidert Niki. Er sieht mich an, doch sieht er mich auch? Ist das wirklich er?
    »Niki?«, will ich wissen. Ich klinge unsicher. Mein Ellenbogen pocht wie verrückt.
    »Mmh?« Er ist immer noch verdächtig ruhig.
    Ich kann es nicht sagen. O Gott, ich kann nicht sagen, ob das neben mir mein Freund ist oder nicht. »Da ist noch etwas anderes. Etwas … Grausames«, höre ich die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf. Aber wenn er es nicht ist: Wer ist er dann? Oder schlimmer:
Was
ist er in diesen Momenten?

12 . Kapitel
    W enn jemand gestorben ist, kommt ein Arzt oder Leichenbeschauer und stellt den Tod fest. Dann wird ein Totenschein ausgestellt, und mit dem kann man alle Formalitäten erledigen: Das Bestattungsunternehmen beauftragen, das Konto auflösen, die Hinterbliebenenrente kassieren. Fürs Jenseits bleibt da wenig Raum.
    Als Kind habe ich geglaubt, ein Engel würde mich holen, wenn ich einmal sterbe. Nicht, dass ich als Kind ständig an den Tod gedacht hätte: Erst der Tod meines Hamsters Krümel hat mich darauf gebracht. Dass Tiere sterben. Dass Menschen sterben. Dass Engel kommen und die Seele mitnehmen in den Himmel. Den ich mir ungefähr so vorgestellt habe wie ein großes Hamsterparadies mit Nüssen und Spielecken, ausgestreut mit Holzspänen.
    Die Engel begleiteten mich noch eine erstaunlich lange Zeit, doch am Himmel kamen mir Zweifel: Was, wenn Wolken nur Wasserdampf wären? Was, wenn man da drauf nicht sitzen konnte, geschweige denn darin Nüsse verstecken? Ich verlegte den Himmel in unbekanntere Gefilde, doch meine Engel blieben. Bis zum Konfirmationsunterricht. Dort wurden sie kastriert.
    »Gottes Engel haben keine Flügel«, mussten wir lernen. Wir sollten begreifen, dass sie nur eine Allegorie wären, ein Anreiz, ein super erstrebenswertes Rollenspiel. »Gottes Engel haben keine Flügel. Wir erkennen sie an ihren guten Taten. Wir alle können Engel sein.«
    So ein Quatsch, dachte ich damals. Inzwischen weiß ich es nicht mehr sicher. Während ich Niki heimlich beobachte, habe ich manchmal meine Zweifel. Vielleicht hatten sie damals doch recht: Vielleicht gibt es menschliche Engel. Nicht alle, aber solche wie Niki. Vielleicht ist das der Grund, warum er mit Toten reden kann?
    »Da. Du tust es schon wieder«, sagt Niki, ohne hochzusehen.
    »Was denn?«, frage ich unschuldig.
    »Mich anstarren.« Jetzt blickt er hoch. Seine blauen Augen blitzen. »Du willst doch nicht schon wieder kontrollieren, ob ein Geist von mir Besitz ergriffen hat?«
    Ich habe es ihm erzählt. Auch das von Alice, damals. Als er mich angeraunzt hat, er wolle mit ihr alleine reden. Auf der Straße, als er mich beschimpft hat. Wie seine Stimme sich dann anhört, seine Augen aussehen. Und er hat es nicht ernst genommen. »Nun ja«, erwidere ich zögernd, »das kann einem schon Angst machen. Es geht rasend schnell, wenn sich irgendein Toter bei dir einnistet, weißt du?« Meine Visionen habe ich nicht beschrieben: Es genügt, wenn er sich erst einmal mit dieser Besessenheit auseinandersetzt. Da hat er genug dran zu knabbern.
    Niki reibt sich die Stirn. »Ich sagte dir doch schon: Da war irgendein Toter in der Nähe. Keine Ahnung, wie er dort hinkommt: Ich konnte ihn auf jeden Fall spüren. Um mich herum. Er hat sich nicht, wie hast du es so schön ausgedrückt, eingenistet. Igitt. Wie das klingt.«
    Wir sitzen uns in dem kleinen Empfangsraum gegenüber, den ich von einem meiner ersten Besuche her kenne. Eigentlich wollten wir etwas ganz Normales unternehmen, Kino, Eisessen oder so, aber die Frau, die im Büro aushilft, ist krank geworden und Niki muss Telefondienst schieben. Letztendlich bedeutet das nichts anderes, als dass wir darauf warten, dass jemand gestorben ist. Normaler Alltag eben.
    »Aber verstanden, was dieser Tote gesagt hat, hast du nicht«, stelle ich fest. Auch eine ganz normale Feststellung.
    »Nein.« Für einen Moment sieht Niki besorgt aus. »Er wollte auch nicht großartig reden, hatte ich das Gefühl. Der

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