Zwischen jetzt und immer
würde sie den Karteikasten in ihrem Kopf nach der Antwort durchsuchen. Doch dann schluckte sie und spitzte leicht die Lippen. »Nun . . .« Mehr sagte sie nicht.
Ich merkte, dass ich lächelte. Nein: breit, unverhohlen und schamlos grinste.
Wes richtete seinen Blick auf Amanda. »Weißt du’s?«
Amanda schüttelte langsam den Kopf.
»Na dann.« Wes wandte sich wieder mir zu. »Frag ich doch besser die Praktikantin. Macy?«
Ich konnte Amandas und Bethanys Blicke auf meiner Haut spüren wie Stiche. »Auf dem Servierwagen mit dem kaputten Rad, und zwar unter den Schürzen«, antwortete ich. »Bei den anderen Servierbestecken war kein Platz mehr dafür.«
Wes lächelte mich an. »Ach so.« Er schüttelte den Kopf, als hätte er auch selbst darauf kommen können. »Klar, wo sonst?«
Das Quietschen der Räder verriet mir, dass Bethany und Amanda entlang der Theke den Rückzug antraten. Wes sah ihnen ungerührt nach und beugte sich dann ganz dicht zu mir.
»Nette Kolleginnen«, meinte er halblaut.
»Ja, stimmt«, erwiderte ich, jedoch nicht ganz so leise. »Sie können mich nicht ausstehen.«
Die Stühle rollten plötzlich nicht mehr weiter. Stille. Ja und? Als wäre das ein Geheimnis gewesen.
»Und sonst? Wie läuft es so bei euch?«, fragte ich.
»Das übliche Chaos.« Wes fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Delia flippt aus, weil über Nacht eine der Kühlboxen den Geist aufgegeben hat und alles, was drin war, schlecht geworden ist. Kristy und Monica sind wegen des Feiertags ans Meer gefahren, deshalb müssen Delia, Bert und ich mal eben fünf Eimer Kartoffelsalat improvisieren und die ganze Veranstaltung zu dritt managen. Nachdem ich gerade zum Supermarkt geflitzt war, weil wir natürlich nicht mehr genug Mayonnaise hatten, rief Delia völlig verzweifelt an und meinte, sie könne die Servierzangen nirgends finden; ich solle doch bitte hier vorbeifahren und dich fragen.« Eratmete einmal tief durch, bevor er sich erkundigte: »Und wie war dein Tag so bisher?«
»Frag nicht.«
»Ist ein gewisser Freund schon aufgetaucht?«
Er hat es also doch mitgekriegt, dachte ich. Und schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht.«
»Sag dir einfach, es könnte noch viel schlimmer sein«, meinte Wes. »Zum Beispiel, wenn du gerade Kartoffelsalat machen müsstest. Stell dir vor, du würdest bis zu den Ellbogen in Mayonnaise verschwinden.«
Wahrlich keine schöne Vorstellung. Ich schnitt eine übertrieben angewiderte Grimasse.
»Folgendes . . .« Wes fuhr mit der Hand über die Fläche zwischen uns. »Es wäre einfach Spitze, wenn du uns helfen könntest. Schade, dass du hier nicht wegkommst.«
In den Sekunden, die nun vergingen, hörte ich nichts weiter als die ewige Grabesstille der Bibliothek. Das Ticken der Wanduhr. Das leise Knarren von Bethanys Stuhl. Und das gab – nach allem, was in diesem Raum geschehen war, von meinem ersten Tag hier bis zu den letzten fünf Minuten – den Ausschlag.
»Vielleicht ja doch«, erwiderte ich.
Wandte mich um, sah Bethany und Amanda an. Sie taten, als wären sie in irgendwelche Fachzeitschriften vertieft, spitzten aber gleichzeitig die Ohren, um ja kein Wort von unserer Unterhaltung zu verpassen. »Hey«, sagte ich. Sie blickten gleichzeitig auf, ein Wesen mit zwei Köpfen. »Wisst ihr was? Ich glaube, ich gehe jetzt mal.«
Ein paar Sekunden vergingen, während meine Worte langsam einsickerten.
Amanda sah mich verdutzt an. »Aber du hast erst in einer Stunde frei.«
»Ja, deine Schicht endet um eins«, fügte Bethany hinzu.
Ich nahm meine Tasche und meinte lapidar: »Wie komme ich bloß darauf, dass ihr mich nicht weiter vermissen werdet?« Stand auf, schob meinen Stuhl ordentlich an die Theke. Wes, die Hände in den Hosentaschen, betrachtete mich neugierig, geradezu fasziniert.
Ich warf einen letzten langen Blick auf die Infotheke, an der ich so lange vor mich hin vegetiert hatte. Vielleicht mache ich ja einen Riesenfehler, dachte ich. Und wenn schon. Der noch viel größere Fehler ist doch längst passiert. Ich hatte von vielem keine Ahnung, hätte ich nie behauptet, aber eines wusste ich mit Bestimmtheit: Sofern es sich um mein persönliches Immer handelte, wollte ich keine Sekunde länger an diesem Ort verbringen. Auf gar keinen Fall.
»Wenn du jetzt gehst«, presste Bethany hervor, »gibt es kein Zurück. Du kannst nicht wiederkommen.«
»Damit hast du vollkommen Recht«, antwortete ich. Und war unendlich froh, dass sie Recht hatte. »Ich kann nicht
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