Zwischen jetzt und immer
verbrochen.«
»Es geht nicht um Bestrafung«, entgegnete sie, »sondern um Vorbeugung.« Als dozierte sie über Waldbrandbekämpfung oder eine ansteckende Krankheit. Ich wandte den Kopf ab und sah durchs Fenster hinaus in den Garten, wo das Gras im hellen Sonnenlicht glänzte.
»Macy, bitte mach dir Folgendes klar.« Meine Mutter sprach leise, aber eindringlich. »Was du jetzt tust, prägt dein ganzes Leben. Die Menschen, mit denen du dich umgibst, die Entscheidungen, die du triffst, können dich, deine Persönlichkeit,deine Zukunft unwiderruflich verändern. Verstehst du, was ich meine?«
Und wie ich es verstand. Besser als je zuvor. Denn in den wenigen Wochen, seit ich mich mit Kristy und – noch viel wichtiger – mit Wes angefreundet hatte,
hatte
ich mich verändert. Sie halfen mir zu erkennen, dass die Welt aus mehr bestand als aus Angst. In dem Sinne hatten sie mich tatsächlich geprägt. Allerdings nicht in der Art und Weise, vor der meine Mutter sich fürchtete.
»Ich verstehe dich genau.« Ich hätte es ihr so gern erklärt. »Aber –«
Sie fiel mir ins Wort. »Dann bin ich ja zufrieden.« In diesem Augenblick begann das Telefon erneut zu klingeln. »Und ich bin sehr froh, dass wir einer Meinung sind.«
Dann stand sie auf, ging zum Telefon, hob ab. War weg. »Deborah Queen«, sagte sie. »Harry. Hallo. Ja, ich dachte auch gerade, dass ich unbedingt noch mit Ihnen sprechen muss . . .« Telefonierend ging sie durch den Flur davon. Ich saß in der Küche, in der es plötzlich sehr still geworden war. Meine Mutter war für alle und jeden zu erreichen. Man musste nichts weiter tun als eine Nummer zu wählen und zu warten, bis sie abhob. Wenn es für mich doch auch nur so einfach wäre.
Als ich zur Arbeit aufbrechen wollte, musste ich feststellen, dass mein Auto in unserer Auffahrt von einem Lieferwagen voller Klappstühle blockiert wurde. Also ging ich wieder ins Haus und schaffte es sogar, meine Mutter bei einem ihrer vielen Telefonate zu unterbrechen. Viel weiter half mir das allerdings nicht, denn der Mensch, der den Lieferwagen dort abgestellt hatte (und der für meine Mutter arbeitete), hatte den Schlüssel mit nach Hause genommen.
»Ich fahre dich schnell zur Bibliothek.« Meine Mutter schnappte sich ihre Handtasche von der Küchentheke. »Aber wir müssen uns beeilen, ich habe noch irrsinnig viel zu tun.«
Da saßen wir nun in dem kleinen beengten Raum, der ihr Wagen war. Und schwiegen. Die ganze Fahrt über. Dieses Schweigen wurde noch verstärkt, als der Wagen im Stau stecken blieb. Immer noch saßen wir schweigend da, eingezwängt zwischen anderen gereizten Menschen in ihren Autos. Vermutlich war meiner Mutter überhaupt nicht bewusst, dass ich sauer war. Bis wir in ihr Auto eingestiegen waren, hatte ich es selbst kaum bemerkt, doch mittlerweile spürte ich, wie ich mit jeder Sekunde saurer wurde. Sie hatte mir die Sachen meines Vaters weggenommen, meine Erinnerungen an ihn, und jetzt wollte sie mir auch noch meine Freunde wegnehmen. Ich musste zumindest versuchen, mich dagegen zu wehren.
»Du siehst müde aus, mein Schatz«, sagte sie schließlich, nachdem ein paar weitere Minuten ohne ein Wort vergangen waren. Ich wusste, dass sie mich ansah, hatte ihren Blick jedoch noch nicht erwidert. »Hast du nicht gut geschlafen?«
Mein übliches Nein-alles-okay-mir-geht-es-gut lag mir schon auf der Zunge, doch dann hielt ich inne. Nichts ist okay, dachte ich. Und antwortete deshalb: »Nein, habe ich nicht. Ich habe schlecht geträumt.«
Hinter uns hupte jemand.
»Wirklich?«, sagte sie. »Wovon?«
»Von Dad, wenn du es genau wissen willst.« Während ich das sagte, sah ich sie dann doch an. Sah, wie ihre Finger, die sich ums Lenkrad krampften, für einen Moment ganz weiß wurden, bevor sie sich wieder ein wenig entspannten. Ich verspürte ein bohrendes Gefühl in der Magengrube. Fast so, als würde ich gerade etwas ganz und gar Falsches tun.
»Ach wirklich?« Sie schaute stur geradeaus auf die Straße. Der Verkehr kam allmählich wieder ins Rollen.
»Ja«, antwortete ich. »Es war ziemlich unheimlich. Er saß in einem Auto und –«
»Wahrscheinlich war es in deinem Zimmer zu heiß.« Meine Mutter beugte sich vor und drehte am Regler der Klimaanlage. »Ich habe dir schon immer gesagt, du hast zu viele Decken auf deinem Bett. Du weißt doch, wenn dir zu heiß wird, hast du Alpträume.«
Ich wusste, was sie vorhatte: mich durch gezielte Sätze dieser Art behutsam wieder auf
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