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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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»Mama, bitte.«
    Doch meine Mutter bretterte unsere Auffahrt hoch und war, zusammen mit Caroline, schon fast im Haus, da stieg ich überhaupt erst aus. Nach wie vor war ich tief in Gedanken versunken. Gelegentlich flatterte ein Stück weiße Zeltplane durch die Luft. Ich folgte den beiden und fand sie in der Küche, wo sie eilig die Broschüren und Kataloge bereitlegten, die draußen auf den Tischen verteilt werden sollten; und auch sonst wirbelten sie wie zwei Derwische durch die Gegend, um alles für den Empfang vorzubereiten. Als sie mich kommen sah, schnappte sich meine Mutter einen Stapel alter Zeitungen, Innenarchitektur- und Design-Zeitschriften meiner Schwester, Mappen sowie Flyer von der Arbeitsplatte und packte ihn mir auf den Arm.
    »Bringst du das bitte außer Sichtweite, Macy? Leg es irgendwohin, wo es nicht stört. Und schau in der Toilette nach, ob die Gästehandtücher auch gerade aufeinander liegen und genug Seife nachgefüllt wurde und . . .« Sie unterbrach sich und schaute sich hektisch um, welche Unordnung ihren scharfen Augen bisher entgangen war. Ihr Blick fiel auf den Karton mit dem
E.I.N.
fach
-Schlüsselsystem, den ich gestern neben dem Telefon hatte stehen lassen. ». . . bitte verstau das Ding ebenfalls irgendwo, wo es nicht im Weg rumliegt, und komm anschließend sofort zu mir zurück, ich brauche deine Hilfe im Esszimmer, dringend.«
    Ich bewegte mich zwar immer noch wie in Trance, nickte aber und tat alles, worum sie mich gebeten hatte. Die Mappen brachte ich in ihr Arbeitszimmer, die Zeitungen zum Altpapier, die Zeitschriften legte ich vor die Zimmertür meiner Schwester. Blieb bloß noch das
E.I.N.
fach
-Schlüssel system . Damit ging ich in mein Zimmer, setzte mich aufs Bett, drehte und wendete das Paket in meinen Händen.
    Von unten drang das Geräusch des Staubsaugers zu mirhoch; anscheinend war meine Schwester zu einer letzten Blitzsäuberungsaktion verdonnert worden, denn meine Mutter hastete im Flur hin und her, was ich am Klappern ihrer Absätze hörte. Ich wusste zwar, dass sie mich eigentlich im unteren Stockwerk brauchten, und zwar bald; dennoch wollte ein Teil von mir sich einfach aufs Bett legen, die Augen schließen und noch einmal ein paar Stunden früher aufwachen, heute Morgen, sieben Uhr. Um eine zweite Chance zu bekommen. Zunächst würde sich alles genauso abspielen wie beim ersten Mal: Ich würde die Treppe hinunterlaufen, über den Gartenweg auf Wes zugehen   – aber ich würde etwas anderes zu ihm sagen als heute Morgen. Er hatte mir immer die Wahrheit gesagt. Inzwischen hatte ich begriffen, dass ich dasselbe hätte tun sollen.
    Und was war die Wahrheit?
    Wes war mein Freund, zweifellos. Aber ich hatte Gefühle für ihn, die weit darüber hinausgingen, auch wenn ich an jenem Abend, als ich ihn mit Becky zusammen sah, das Gegenteil behauptet hatte. Allmählich blieb mir jedoch gar nichts anderes mehr übrig als mir diese Gefühle einzugestehen. Und es wurde auch höchste Zeit. Im Prinzip hatte ich es schon lange gewusst. Genau deswegen hatte es mich ja schon fast wieder zu Jason zurückgezogen, zu dem geordneten, ruhigen Leben, das mich   – wie ich hoffte   – davor bewahren sollte, je wieder verletzt zu werden. In dieser meiner geordneten, ruhigen Welt war es nicht nur möglich, sondern sogar ziemlich einfach, so zu tun, als wäre nichts von dem, was ich in diesem Sommer   – mit Wes, mit
Wish Catering
– erlebt hatte, überhaupt je passiert.
    Aber es
war
passiert. Ich war Delias Lieferwagen an jenem Abend gefolgt, ich hatte Wes meine Wahrheiten erzählt, mich in seine Arme geflüchtet, ihm mein trauriges,wundes, gebrochenes Herz geöffnet. Natürlich konnte ich auch weiterhin so tun, als wäre es nicht so gewesen, konnte die Ereignisse aus meinem Kopf und hoffentlich irgendwann auch aus meinem Bewusstsein verbannen. Aber ob das auf Dauer überhaupt was bringen würde? Wenn nämlich irgendetwas wirklich wichtig ist, sorgt das Schicksal in der Regel dafür, dass es noch einmal zu einem zurückkehrt und man eine zweite Chance bekommt. Einmal war   – ganz konkret   – die Hand nach mir ausgestreckt worden, als Kristy mich ins Bertmobil, also den ehemaligen Krankenwagen, gezogen hatte; ein zweites Mal forderte das Schicksal mich heraus, als ich mit den anderen ins Krankenhaus fuhr und am Ende die Geburt von Avery miterlebte. Die Ereignisse verschwören sich miteinander, um einen an den Ort zurückzukatapultieren, an dem man in einer existenziellen

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