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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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desselben steifen, weißen Stoffes handelte, der vorhin gegen meine Beine geflogen war. Der Groschen fiel allerdings erst, als ich einen Entsetzensschrei hörte, der auf der anderen Seite des Hauses ausgestoßen wurde.
    »Das Zelt!«, kreischte meine Mutter. »Das kann nicht sein! Das Zelt!«
    Ich wandte mich wieder zu Wes um, doch er hatte mir bereits den Rücken zugekehrt und lief zu seinem Truck. Ich rührte mich nicht vom Fleck, sondern blickte ihm nach, wie er einstieg, sich hinters Steuer setzte, losfuhr. Ich hatte gewonnen. Aber es fühlte sich nicht wie ein Sieg an. Ganz und gar nicht.
     
    Die Bilanz: ein zerfetztes Zelt, ein Garten voll geköpfter Blumen und aus der Ferne   – Donnergrollen.
    Caroline sagte mit gedämpfter Stimme »Oje« und stieß mich mit dem Ellbogen an. Ich schreckte hoch. Schon seit Stunden war ich nicht mehr ganz bei mir, sondern mit meinen Gedanken irgendwo im Nirgendwo versunken. Obwohl ich instinktiv alles tat, um meine total entnervte,panische Mutter zu unterstützen, hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, neben mir zu stehen. Dennoch streichelte ich beruhigend ihre Hand und meinte, nein, natürlich werde es auch ohne Zelt gehen. Denn die Leute von der Partyfirma hatten uns mehrfach versichert, es tue ihnen schrecklich Leid, aber sie könnten uns kein Ersatzzelt liefern, da alle ihre Zelte vergeben seien; und selbst wenn, gebe es so kurzfristig kein Personal zum Aufbauen. Also versuchten wir drei auf eigene Faust, zumindest die Stühle und Tische so zu arrangieren, dass man sitzen konnte, doch der Wind blies sie genauso schnell wieder um, wie wir sie aufstellen konnten. Daher schlug Caroline vor, wir sollten sie ganz wegräumen, das wäre doch auch nicht schlecht; schließlich würde es den Gästen ermöglichen, sich ganz »zwanglos untereinander zu mischen und zu plaudern«, wie sie sich ausdrückte. Ich nickte eifrig, um meiner Mutter das Gefühl zu geben, es würde schon alles irgendwie klappen. Und als sie sich kurze Zeit später den Absatz abbrach, nachdem sie das rote Band vor der Modellvilla zerschnitten und rückwärts die Stufe hinuntergetreten war, wobei sie mehr als unglücklich mit dem Fuß aufkam, sorgte ich für einen kleinen Lacher, weil ich geistesgegenwärtig meine eigenen Schuhe auszog und sie ihr hinhielt. Trotzdem kam ich mir die ganze Zeit merkwürdig distanziert vor. Als spielte sich das Geschehen nicht direkt vor meinen Augen, sondern irgendwo weit weg ab, so dass die Konsequenzen   – egal welche   – für mich überhaupt keine Rolle spielen würden.
    Ausnahmsweise lächelte meine Mutter gerade mal, zwar nur für die Kameras, aber immerhin. Während dunkel drohende Wolken über den Himmel jagten, schüttelte sie ihren Bauleitern, Handwerkern und anderen Mitarbeitern herzlich und äußerlich vollkommen gelassen die Hände. Alles inallem vermittelte sie das Gefühl, ganz gut drauf zu sein   – bis zu dem Moment, als wir in ihr Auto einstiegen und sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
    »Was soll das?«, schrie sie hysterisch. »Warum? Seit Wochen habe ich auf diesen Tag hingearbeitet und genau das wollte ich nicht.«
    Ihre Stimme gellte durchs Wageninnere, dröhnte in meinen Ohren. Meine Mutter trat aufs Gaspedal und fuhr los. Während die vertrauten Straßen und Häuser unseres Viertels draußen am Fenster vorbeihuschten, schoss mir plötzlich die Szene mit mir und Wes durch den Kopf, als wir am frühen Morgen bei uns im Garten gestanden und ich etwas ganz Ähnliches zu ihm gesagt hatte wie meine Mutter gerade   – ganz ähnlich und gleichzeitig das genaue Gegenteil:
Wir wollten es doch gar nicht anders.
Als ich die Worte ausgesprochen hatte, waren sie mir vollkommen logisch erschienen. Doch allmählich überkamen mich Zweifel.
    Wir bogen um eine Ecke. Direkt über uns ertönte ein Donnerschlag, der uns alle drei heftig zusammenzucken ließ. Meine Schwester, die vorne neben meiner Mutter saß, beugte sich etwas vor, um durch die Windschutzscheibe zum Himmel zu spähen. »Vielleicht sollten wir uns allmählich überlegen, was wir tun, falls es regnet«, sagte sie.
    »Es wird nicht regnen«, meinte meine Mutter lapidar.
    »Hast du den Donner nicht gehört?«
    »Nur weil es donnert, heißt das noch lange nicht, dass es auch regnet.« Meine Mutter gab Gas und raste mit mindestens dreißig Stundenkilometern mehr dahin, als es sich für einen rücksichtsvollen Bewohner von Wildflower Ridge gehörte.
    Caroline warf ihr einen Blick von der Seite zu.

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