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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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einziges Mal zu uns umgedreht zu haben. Und als Nächstes hörte ich, wie sich die Tür zu ihrem Arbeitszimmer schloss.
    »Hilfe!«, sagte ich. Und meinte es.
    »Ist doch bloß eine Seifenschale.« Kristy wollte offensichtlich helfen. »So eine findet ihr bestimmt irgendwo wieder.«
    Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Caroline meiner Mutter folgen wollte, weil sie vermutlich wie selbstverständlich davon ausging, dass sie die Situation irgendwie in den Griff kriegen musste. Wie immer. Aber ich wartete schon so lange auf eine Gelegenheit, mit meiner Mutter zu reden, war allerdings jedes Mal gescheitert, entweder an meinen eigenen Ängsten oder an ihren. Höchste Zeit, es noch einmal zu versuchen.
    Ich legte eine Hand auf Carolines Arm, hielt sie zurück. Verwundert sah sie mich an. »Lass mich mal«, sagte ich und machte mich auf den Weg zu meiner Mutter.
     
    Als ich die Tür zum Arbeitszimmer öffnete, stand sie mit dem Rücken zu mir an ihrem Schreibtisch. Und sie weinte. Ihre Schultern bebten und zu überhören war es auch nicht. Ich bekam sofort einen Kloß im Hals und wäre am liebsten weggelaufen. Aber ich zwang mich zu bleiben, holte tief Luft und trat ins Zimmer.
    Sie drehte sich nicht um. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie merkte, dass ich da war. Und während ich so dastand und sie betrachtete, wurde mir auf einmal bewusst, wie schwer es ist, mit anzusehen, wenn sich jemand, den manliebt, vor deinen Augen verändert. Es jagt einem nicht nur Angst ein, es bringt einen auch aus dem Gleichgewicht. So musste meine Mutter sich in den Wochen gefühlt haben, als ich für Delia arbeitete. Jeden Tag hatte sie mich ein Stück weniger als die alte, ihr vertraute Macy wiedererkannt; jeden Tag hatte ich mich ein bisschen mehr verändert. Kein Wunder, dass sie versucht hatte mich wieder stärker an sich zu binden, meine Welt zu beschränken, bis sie wieder in ihr eigenes Dasein hineinpasste. Doch selbst in diesem Augenblick   – als ich das endlich in seinem ganzen Ausmaß begriff   – wünschte ich mir noch, meine Mutter würde sich zusammenreißen und wieder das Kommando übernehmen wie immer. Dabei hatte ich mir damals, in unserer schwierigsten Zeit, als sie mich eisern an sich geklammert hielt, nichts mehr herbeigesehnt als ihr beweisen zu können, dass ich mich zwar verändert hatte, aber zum Positiven. Und dass sie das genauso gesehen hätte, wenn sie meine Veränderung nicht von vornherein abgelehnt, sondern mir eine Chance gegeben hätte. Diese Chance hatte ich jetzt. In diesem Moment. Und trotz meiner Angst würde ich mir diese Chance nicht wieder nehmen lassen.
    Ich durchquerte den Raum und stellte mich hinter sie. Mir lag so viel auf der Seele, das ich ihr sagen wollte. Ich wusste bloß nicht, wo ich anfangen sollte.
    Irgendwann drehte sie sich um, wobei eine Hand unwillkürlich zu ihrem verweinten Gesicht wanderte. Und für ein paar Sekunden standen wir einfach bloß so da. Schauten einander in die Augen. In meinem Kopf formten sich ungefähr eine Million Sätze, doch keinen brachte ich zu Ende. Das jetzt ist das Schwierigste überhaupt, dachte ich. Was auch immer als Erstes gesagt wurde, egal ob von ihr oder von mir, würde einen weit reichenden Prozess in Bewegungsetzen; deshalb musste es stark genug sein, um alles, was noch kam, auch tragen zu können.
    Sie atmete tief durch. »Ich bin   –«
    Doch ich ließ sie nicht aussprechen, sondern trat auf sie zu und legte meine Arme um sie. Im ersten Moment machte sie sich steif, wohl mehr aus Überraschung denn aus sonst einem Grund; aber ich ließ nicht los. Vielmehr umarmte ich sie noch fester und vergrub mein Gesicht an ihrem Hals. Ich spürte zwar ihren Atem in meinem Haar, ihren Herzschlag an meiner Brust, nicht jedoch dass sie die Umarmung erwidert und ihre Arme ebenfalls um mich geschlungen oder ihren Körper enger an meinen gedrückt hätte. Dennoch war sie mir ganz nah. Was sich nach all der Zeit, die ohne Berührung vergangen war, hätte komisch anfühlen können, ungewohnt, beklommen   – ein unbeholfenes Gebilde aus spitzen Ellbogen und kantigen Hüftknochen. Aber es fühlte sich nicht komisch an, sondern im Gegenteil: Es war perfekt.
    Ich umarmte also meine Mutter und meine Gedanken wanderten zu dem Abend zurück, als ich mit Wes noch ewig in unserer Auffahrt gesessen und gequatscht hatte, unter anderem über sie. Damals sagte ich zu ihm:
Ich würde sie auf jeden Fall erst einmal wissen lassen, wie ich mich fühle. Ohne erst groß drüber

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