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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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Hand nach ihr aus. »Alles okay, Mama?«
    »Nicht jetzt, Macy!«, fauchte sie. Hastig zog ich meine Hand zurück. Nicht mal ein Okay-mir-geht’s-gut mehr . . .
    »Schatz, bitte.« Sie schüttelte beschwörend den Kopf. »Nicht jetzt.«
    In den nächsten zwanzig Minuten jagte eine Katastrophe die nächste. Nur allzu deutlich nahm ich wahr, wie ihre Anspannung immer größer wurde. Sah es an ihrer steifen Kopfhaltung, ihrem verkniffenen Gesichtsausdruck, hörte es im zittrigen Ton ihrer Stimme, wenn sie ans Telefon ging, das überhaupt nicht mehr zu klingeln aufhörte. Und jedes Klingeln bedeutete eine neue Hiobsbotschaft, zum Beispiel meldete der Bauleiter, dass es bei der Modellvilla durchs Fenster reinregnete. Dann fingen die Lampen an zu flackern, gingen aus, gingen zwar wieder an, aber so ganz sicher konnte man sich nicht sein, dass der Strom nicht doch ausfallen würde. Jedes Mal spannte meine Mutter ihren Körper noch mehr an, jedes Mal wurde ihre Stimme noch lauter, noch höher;ihre Augen schossen wie wild hin und her, um auch das letzte missliche Detail zu entdecken, das sie bisher übersehen hatte. Wenn ihr Blick dabei zufällig auf mich fiel, schlug ich schnell die Augen nieder, damit sie nicht merkte, dass ich sie heimlich beobachtete.
    »Ich mache mir echt Sorgen um Mama«, sagte ich zu Caroline. Wir versuchten gerade mit vereinten Kräften das große, schwere Eichensofa im Wohnzimmer wenigstens einen halben Meter nach hinten zu schieben. Doch obwohl wir uns förmlich dagegen warfen, rührte das Teil sich einfach nicht vom Fleck. »Ich würde ihr so gerne helfen. Wenn ich bloß wüsste, wie.«
    »Du kannst ihr nicht helfen«, meinte Caroline. »Versuch’s gar nicht erst, das bringt nichts.«
    Ich hörte auf zu schieben. »Mann, Caroline!«
    Sie strich sich mit dem Handrücken die Haare aus der Stirn. »Macy, wann kapierst du’s endlich?
Du
kannst überhaupt nichts tun.«
    In dem Moment hörte ich, wie sich die Haustür öffnete und jemand auf Absätzen in den Eingangsflur klapperte.
    »Ach du Scheiße«, sagte Kristy. »Was geht denn hier ab?«
    Zutiefst dankbar für die Unterbrechung ließ ich das Sofa los und drehte mich um. Ja, da stand sie, mitten im Flur, einen Stapel Alubehälter auf dem Arm. Neben ihr tauchte Monica auf, die eine Kühlbox trug und darauf vorsichtig ein paar Schneidebretter balancierte. Und als Letzte erschien Delia, unter jeden Arm ein paar Baguettes geklemmt.
    »Hier herrscht gerade eine kleine Krise«, sagte ich zu Kristy. Gleichzeitig fing das Licht wieder gefährlich an zu flackern.
    Mit lautem Geschepper und Getöse schob Bert einen derzerbeulten Servierwagen über die Schwelle, und zwar so ruppig, dass Delia zur Seite springen musste, um nicht überrollt zu werden. Draußen regnete es nach wie vor in Strömen; der Wind trieb die Tropfen beinahe horizontal vor sich her.
    »Was für eine Krise?«, fragte Delia.
    In dem Moment ertönte aus der Gästetoilette ein Schrei, gefolgt von einem Klirren. Wir verstummten. Der einzige Laut, den man sonst noch hörte, war das Peitschen des Regens gegen die Fensterscheiben. Die Tür öffnete sich. Meine Mutter kam heraus.
    Ihr Gesicht war vor Anstrengung erhitzt und gerötet, ihr Lippenstift im rechten Mundwinkel verschmiert. Sie trug nach wie vor meine Schuhe, die ihr deutlich zu klein waren, und am Saum ihres Rocks prangte unübersehbar ein Fleck. Sie sah total erschöpft aus, niedergeschlagen. Oder vielleicht auch schlicht geschlagen. In der Hand hielt sie die Seifenschale aus der Gästetoilette   – beziehungsweise in jeder Hand einen Teil davon.
    Es war zwar eine ganz hübsche, aber trotzdem stinknormale Seifenschale gewesen; ich konnte mich nicht mal mehr erinnern, wann und wo wir sie gekauft hatten. Aber als meine Mutter nun die Scherben betrachtete, war sie den Tränen nah. Ich spürte eine Bewegung in meiner Brust, eine Art Druck, und merkte, dass ich Angst hatte. Panik. Horror. Ich hatte meine Mutter schon in vielen Situationen und Zuständen, aber noch nie schwach erlebt. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst, so klein und hilflos fühlte ich mich auf einmal.
    »Mama?«, fragte Caroline. »Alles in   –«
    Doch sie unterbrach sich mitten im Satz, denn meine Mutter schien sie nicht zu hören noch irgendeinen von unsüberhaupt wahrzunehmen. Mit langsamen, fast tastenden Schritten ging sie den Flur entlang Richtung Küche. Plötzlich hob sie die Hand und wischte sich über die Augen. Bog um die Ecke ohne sich ein

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