Zwischen jetzt und immer
erwartete.
Natürlich wurde geredet. Die Leute fanden, Caroline sei zu jung, um zu heiraten, so kurz nach ihrem College-Abschluss; und dass sie wahrscheinlich nur einen Vaterersatz bräuchte. Dabei war deutlich zu sehen, wie sehr sie Wally liebte, aufrichtig liebte. Und gerade weil die Hochzeit so spontan, ja geradezu überstürzt geplant wurde, stellte sie für uns alle in jenem traurigen Frühjahr eine heitere Ablenkung dar. Aber das Beste war, dass meine Mutter und Caroline endlich mal etwas gemeinsam hatten, endlich derselben Meinung waren: Carolines Hochzeit sollte nämlich das größte, schönste, beste, rauschendste Fest überhaupt werden. Und seitdem kamen sie nach langer, langer Zeit wieder halbwegs miteinander klar.
Man hätte es während ihrer Pubertät, in der meine Schwester ausschließlich rebelliert hatte, nie für möglich gehalten, doch am Ende gelangen ihr innerhalb eines Monats immerhin gleich zwei erfolgreiche Abschlüsse: College und Ehebund. Tüchtig, tüchtig. Jetzt hieß sie Mrs WallyThurber und wohnte in einem großen Haus in Atlanta, das zwar am Ende einer Sackgasse stand, doch auf der anderen Seite brauste vierundzwanzig Stunden täglich der Verkehr auf der Stadtautobahn vorbei. Zum Ausgleich verfügte das Haus über eine topmoderne Klimaanlage mit allen Schikanen, was bedeutete, dass sie nie ein Fenster öffnen musste.
Ich dagegen war nie der Typ gewesen, der sich nachts heimlich aus dem Haus schlich. Zum einen lag es daran, dass ich – Sportlerin, die ich nun mal war – früh aufstand, um zu trainieren; und später, mit Jason . . . so was taten wir einfach nicht. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie er reagieren würde, wenn ich ihm vorschlug mich um Mitternacht am Stoppschild abzuholen. Warum?, würde er fragen. Um die Zeit ist nichts geöffnet, morgen früh habe ich Yoga, also wirklich, Macy, was ist das für eine Schnapsidee? Und so weiter und so fort. Und er hätte Recht, natürlich hätte er Recht. Sich rausschleichen, die ganze Nacht Party machen und wer-weiß-was-sonst-noch treiben – das war nicht ich, das war Caroline. Und als sie von daheim auszog, nahm sie diese Eigenschaften und Abenteuer genauso mit wie all ihre anderen Sachen, so dass dafür im Haus nun kein Platz mehr war. Fand ich jedenfalls.
»Warum bist du überhaupt da, Macy?«, fragte sie jedes Mal, wenn sie freitagabends anrief und ich ans Telefon ging. »Warum bist du nicht unterwegs? Unternimmst irgendwas?« Wenn ich dann antwortete, ich müsse lernen oder Hausaufgaben machen, atmete sie so entnervt aus, dass ich den Hörer vom Ohr weghalten musste. »Was soll das? Du bist jung! Geh aus, amüsier dich, mach was Nettes, lebe! Für den ganzen anderen Kram hast du auch später noch Zeit.«
Anders als die übrigen Schickimicki-Frauen aus ihrer Nachbarschaft, die sie im Gartenclub oder Wohltätigkeitsvereinkennen lernte, leugnete meine Schwester ihre Sturm-und-Drang-Zeit nie, sondern beharrte darauf, diese ihre wilde Phase wäre für ihre persönliche Entwicklung enorm wichtig gewesen. Aus demselben Grund war sie der Ansicht, ich würde auf diesem Gebiet hinterherhinken, ja sogar stagnieren und mich als Mensch, als Mädchen, als künftige Frau nicht wirklich entfalten.
»Ich find’s gut so, wie es ist«, sagte ich am Telefon zu ihr, auch jedes Mal.
»Ja, weiß ich, aber genau das ist das Problem. Du bist ein
Teenager
, Macy.« Sie betonte das immer so, als wüsste ich nicht, wie alt ich war. »Als Teenager spinnt man rum und die Hormone auch; man macht verrückte, ausgeflippte, wilde Sachen, das gehört sich einfach so. Jetzt ist die beste Zeit deines Lebens. Du solltest sie genießen und auskosten.«
Deshalb versprach ich ihr dann ganz brav, am nächsten Abend etwas zu unternehmen, bestimmt. Sie sagte, sie habe mich lieb, und verabschiedete sich. Und wenn wir aufgelegt hatten, ging ich wieder auf mein Zimmer und lernte weiter für meinen College-Vorbereitungskurs oder schrieb das Referat, das erst in zwei Wochen fällig war, oder bügelte. Manchmal kletterte ich auch aufs Dach und dachte an meine Schwester, an ihre wilde Zeit, und fragte mich, ob ich tatsächlich etwas verpasste. Vermutlich nicht.
Auf jeden Fall war es schön, auf dem Dach zu sitzen, selbst wenn meine Abenteuer in der großen weiten Welt, meine Und-wer-weiß-was-sonst-noch-Erlebnisse dort nicht nur begannen, sondern auch endeten.
Obwohl meine Mutter etwas anderes behauptet hatte, wurde es in der Bibliothek nicht besser. Im
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