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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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Gegenteil, ich kam allmählich zu der Erkenntnis, dass Bethanys und AmandasVerhalten zu Beginn noch richtig nett gewesen war im Vergleich dazu, wie sie mich mittlerweile behandelten. Sie redeten kaum noch mit mir, sondern sorgten lediglich dafür, dass ich so wenig wie möglich zu tun bekam.
    Am Freitag nach dem ersten Montag hatte ich für den Rest meines Lebens genug geschwiegen. Mein Pech, denn das würde sich am Wochenende wohl nicht groß ändern. Meine Mutter war nämlich ans Meer gefahren, zu einem Seminar für Bauunternehmer, wo man neue Kontakte knüpfen und alte pflegen konnte. Ich hatte unser Haus also zwei Tage lang ganz für mich allein, jeden einzelnen stillen, schweigenden Quadratzentimeter.
    Sie hatte mir vorgeschlagen mitzukommen, am Pool oder am Strand zu liegen, all die Sachen eben, die im Sommer Spaß machen; uns war jedoch beiden klar gewesen, dass ich ablehnen würde. Denn ein Ausflug ans Meer würde mich   – wie so vieles andere   – bloß an meinen Vater erinnern.
    Wir besaßen nämlich ein Haus am Meer, in Colby, einem Dorf gleich hinter der Brücke über die Bucht. Ein echtes Sommerhäuschen. Die Veranda war grundsätzlich von einer dünnen Sandschicht bedeckt, und wenn es stürmte, quietschten und knarzten die Fensterläden ganz fürchterlich. Die drei langen Wochenenden beziehungsweise Feiertage im Sommer (Memorial Day Ende Mai, vierter Juli und Labour Day Anfang September) verbrachten wir gemeinsam dort, die ganze Familie, doch ansonsten war das Haus das Reich meines Vaters. Es hatte ihm schon gehört, bevor er meine Mutter kennen lernte, und der Junggesellentouch war geblieben. An der Tür zur Speisekammer hing eine Dartscheibe, über dem Kamin ein Elchkopf und in der Schublade des Küchentischs flog alles herum, was mein Vater fürüberlebensnotwendig hielt: Flaschenöffner, Spachtel, scharfes Messer, um Fisch auszunehmen. Der Herd war fast immer kaputt, was meinem Vater allerdings nur auffiel, wenn meine Mutter zufällig mal da war. Denn solange es genug Brennmaterial für den Grill gab und dieser reibungslos funktionierte, war er schon zufrieden.
    Das Haus war seine Basis, um allein oder mit Freunden fischen zu gehen: Rotbarsch im Oktober, Goldmakrele im April, Thunfisch im Dezember. Von diesen Wochenenden kam mein Vater jedes Mal mit einem Kater, trotz Sonnenschutzfaktor 45 (das Sonnenöl hatte ihm natürlich meine Mutter eingepackt) mit einem Sonnenbrand sowie einer Kühlbox voll geschuppter, ausgenommener Fische heim. Er hätte diese Ausflüge zum Fischen nicht missen mögen, keine einzige Sekunde davon. Und sie waren traditionellerweise reine Männersache; deswegen nahm er mich auch nie mit, wenn er mit seinen Kumpels loszog. Dafür durfte ich ihn an anderen Wochenenden begleiten, wenn er zum Beispiel etwas am Haus reparieren oder einfach nur entspannen wollte. Natürlich ging er auch mit mir angeln, entweder vom Strand oder vom Boot aus. Abends saßen wir dann am Kamin und spielten Dame oder gingen im
Last Chance
essen, einem etwas runtergekommenen, kleinen Imbissrestaurant; aber die Kellnerinnen kannten ihn beim Vornamen und nirgendwo sonst habe ich je wieder so köstliche Hamburger gegessen. Dieses Stranddomizil
war
mein Vater, viel eher als unser altes Haus, geschweige denn das neue in Wildflower Ridge. Wenn sein Geist irgendwo umging, dann dort. Deshalb hatte ich unser Ferienhaus seit seinem Tod auch nicht mehr betreten.
    Das galt allerdings nicht nur für mich, sondern auch für meine Mutter und meine Schwester: Keine von uns dreienwar seitdem wieder bei dem Haus gewesen. In der Garage stand nach wie vor sein alter Chevrolet, und den Schlüssel, der unter der großen Muschel neben der Hintertür versteckt lag, hatte seitdem vermutlich auch niemand mehr angefasst. Den Schlüssel unter der Muschel hervorzuholen, das war bei der Ankunft immer meine Aufgabe gewesen.
    Irgendwann würde meine Mutter das Haus wahrscheinlich verkaufen und den Truck dazu. Aber bisher hatte sie noch nichts in der Richtung unternommen.
    Als ich am Freitagnachmittag heimkam, war es im Haus erwartungsgemäß sehr still. Totenstill. Um so besser, sagte ich mir, denn ich hatte mir fürs Wochenende viel vorgenommen: E-Mails schreiben, Colleges im Internet recherchieren, meinen Kleiderschrank ausmisten. Ein freies, ungestörtes Wochenende bot die ideale Gelegenheit, meine Winterpullover auszusortieren und ein paar Klamotten in den Secondhand-Laden zu tragen. Trotzdem wurden mir Stille und Schweigen dann

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